Depressionen | anonymer Gastartikel

Im vergangen Jahr habe ich 47 Gastartikel zum Thema Depressionen veröffentlichen dürfen. Fast jeden Sonntag gab es einen neuen Artikel. Ich bin immer noch sehr bewegt von einigen Texten und dankbar für das Vertrauen, das mir alle und manche besonders entgegengebracht haben. Zum einen, weil sie sich mit mir ausgetauscht haben und weil sie bei mir anonym veröffentlicht haben, weil das der einzige Weg ist, sich etwas von der Seele zu schreiben. Dafür auch heute nochmal ein großes Dankeschön. <3

Nach wie vor steht dieser Blog für das Thema und für Gastartikel offen und es freut mich, dass ich heute einen weiteren – ebenfalls anonymen – Text veröffentlichen darf.

Hier möchte ich gerne vorab eine Triggerwarnung über sexuellen Missbrauch setzen.


Hallo. 

Ich habe eine Depression. Oder Burnout. Oder PTBS. Suchen Sie sich was aus.

Alles begann wohl vor einigen vielen Jahren…als mir das Leben einfach zuviel aufbürdete. Irgendwann war es zuviel, selbst für mich. Und ich war eigentlich sehr geübt darin, Lasten zu (er-)tragen.

Als ich meinen Mann kennen lernte und sich aus ihm und mir eine Patchworkfamilie ergab, fand ich das wirklich erstmal nur spannend. Egal, welche Probleme seine Kinder samt Ex zu haben schienen: bei mir löste das genau dasselbe aus, wie immer. Ich krempelte die Ärmel hoch und dachte mir, das wäre doch gelacht. Ich hatte auch beruflich schon viel mit schwierigen Kids zu tun. Mir lagen auch da schon immer die frechsten Rotznasen sehr nah am Herzen. So also auch diese Kinder. Ich steckte mit meinem Herzensmann also viel Herzblut in diese kleine Patchworkfamilie. Doch das gefiel der Mutter der Kinder gar nicht. Zuerst dachte ich, sie hat einfach nur eine besonders starke Bindung an ihre Kinder und leidet darum unter gewissen Ängsten. Das löste bei mir sehr viel Mitgefühl aus. Doch nach und nach mussten wir erleben, wie sie immer stärker ihren Hass auf uns projizierte und auch die Kinder mit rein zog. Sie zwang die Kinder und uns dreimal vor Gericht und „gewann“ dort tatsächlich trotz abstruser Behauptungen jedes einzelne Verfahren. Wir saßen nun auf jede Menge Schulden und den Trümmern und Verletzungen, die das alles hinterließen. Und konnten das alles gar nicht fassen. Hatten so etwas in Deutschland niemals für möglich gehalten.

Während dieses ganzen Schlamassels gestand mir meine 10 jährige Tochter, im Feriencamp von einem Betreuer sexuell attakiert worden zu sein. Sie hatte sich erfolgreich zur Wehr gesetzt…aber er war dennoch viel zu weit gegangen. Und meine tapfere Tochter wollte unbedingt verhindern, dass er das auch bei anderen versucht. Also entschied sie sich für eine Anzeige. Wir, also mein Mann, mein Ex (also ihr Vater) und ihre Geschwister setzten uns alle an einen Tisch und entschieden im Familienrat, dass wir das nur machen, wenn alle hinter ihr stehen. Und alle sagten ja! Also ab zum Kinderschutzbund und zur Polizei und Anwältin. Die Anzeige bei der Polizei machte ich alleine, stellvertretend für sie. Die Polizisten waren allesamt völlig überfordert und da es rechtlich einen Unterschied macht, ob der Täter seine Finger IN oder AN meiner Tochter hatte, musste ich selber im StGB mir das dazugehörige Gesetz raussuchen, gegen dass er verstoßen hatte. Danach saß ich eine Stunde allein im Auto und heulte mir die Seele aus dem Leib.
Und dann fuhr ich nach Hause und kochte das Essen für meine Familie und tat, als sei nichts passiert, weil ich ja stark sein wollte, sein musste, für meine Familie, für meine Tochter, die viel tapferer zu sein schien, als ich.

Der Täter verlangte ein Glaubwürdigkeitsgutachten, wie es oft bei kindlichen Opfern verlangt wird. Dagegen kann man nichts tun. Also fuhr ich meine Tochter zu der Gutachterin. Rein musste sie alleine. Wie auch bei allen Aussagen vor der Kriminalpolizei, durfte ich als Mutter nicht dabei sein. Nur ihre Anwältin. Aber beim Gutachten niemand sonst. Die Sache war nun ca ein Jahr her. Ja, so eine Anzeige und bis es zu einem Verfahren kommt, dauert im Schnitt zwei Jahre. Ich hatte ein schlechtes Gefühl bei der Gutachterin. Ich fragte meine Tochter immer wieder, ob sie abbrechen möchte. Sie verneinte entschieden. Ich sagte ihr, sie könne jederzeit ohne es begründen zu müssen, abbrechen. Ich saß während des Gutachtens unten im Flur und die Zeit verging wie in Zeitlupe. 

Alles was das Verfahren anging, war schrecklich. Irgendwann hatten wir bei der Anwältin Akteneinsicht. Einer der schrecklichsten Momente in meinem Mutter-Dasein. (…)

In der Schule war meine tapfere Tochter grad auf ein Gymnasium in einer neuen Stadt gewechselt. Sie baute immer mehr ab, trotz hohem IQ drohte sie, von der Schule zu fliegen wegen schlechter Noten. Da entschieden wir, das Verfahren abzubrechen. Wir wollten nicht die Kindheit meiner Tochter vollends zerstören. Sie sollte sich auch mit Themen beschäftigen können, wie andere Mädchen im Alter von 11 Jahren auch! Also teilte ich ihr unsere Entscheidung mit. Sie fiel mir um den Hals und schluchzte, ich sei die beste Mama der Welt. Diese ganze Sache hat unsere Bindung noch enger gemacht.

Und trotzdem musste ich als Mutter mit dem Gefühl, mit der Gewissheit klarkommen, dass man seine Kinder vor sowas nie ausreichend schützen kann. Ich hatte alles „richtig“ gemacht: sie hatte zwei Selbstverteidigungskurse besucht als kleines Mädchen. Meine Kinder kannten alle Bücher zum Thema „Das kleine und das große Nein“ und „Kein Küsschen auf Kommando“ etc. Ich hatte immer darauf geachtet, nie den Willen meiner Kinder zu missachten, soweit das eben möglich war. Sie wurden früh aufgeklärt, da sie früh Fragen stellten. Ich habe sie stark gemacht, so gut es ging. Und doch mussten wir erleben, dass es trotzdem einen solchen Vorfall nicht verhindert hat. Das war das Schrecklichste. Ich reagierte mit Panik in völlig normalen Situationen. Bekam Angstattacken und schreckliche Alpträume. Und drängte alles beiseite. Ich ging weiter zur Arbeit und kümmerte mich weiter um meine Familie. Parallel dazu liefen ja dann noch die Gerichtsverfahren der Ex meines Mannes. Sie hetzte die Kinder gegen uns auf, wo sie konnte. Und ich kämpfte, wo ich konnte. Aufgeben galt nicht!

Nebenbei könnte ich jetzt noch von der unfairen Reaktion meines erwachsenen Sohnes auf das alles erzählen oder dass ich eigentlich todunglücklich in meinem Job war. Ich fühlte mich permanent am falschen Ort. Es war nicht mein ursprünglicher Beruf, sondern einen, den ich mit dem Kopf gewählt hatte. Aber nie mit dem Herzen vereinbaren konnte. 

Oder dass Freundinnen mit der Situation so gar nicht umgehen konnten und ich da also keine Entlastung erwarten konnte.

Ich war nur noch im Kampfmodus, alles was vielleicht ein kleiner Konflikt war, kam mir in der Situation vor, wie eine existenzielle Bedrohung. Die Verhältnismäßigkeiten waren völlig verschoben….aber ich konnte das gar nicht mehr spüren. Ich habe alle Gefühle, die mir zuviel waren, die ich nicht mehr bearbeiten konnte, in einem großen Gefäß an die Seite gestellt. Und bei jedem kleinen Streit z.B. unter Kollegen, da schwappte das Gefäß über und ich konnte nichts mehr ertragen oder gar ausgleichen. Ich reagierte immer und überall panisch und aggressiv. Bei den Lehrern meiner Kinder, bei Kollegen, bei. Chefs, bei Freundinnen. Ich fühlte mich immer und überall bedroht. 

Wenn ich gefragt wurde, wie es mir geht, antwortete ich immer nur, wie es meinen Kindern geht und meinem Mann. Wie es mir ging? Ich wusste es nicht mehr. Ich fühlte es nicht mehr. Gleichzeitig litt ich selber unter meiner Panik und meiner Agressivität. Ich konnte mir das wirklich nicht erklären…ich sah wohl vor lauter Bäumen den Wald nicht.

Und dann wollte ich anfangen, an mich zu denken. Ich wollte von meiner Vollzeitstelle auf eine Teilzeitstelle reduzieren. Aber der Arbeitgeber sagte mir, das ginge derzeit nicht. Nach einem dreiviertel Jahr in dem ich fast wöchtentlich um eine Stundenkürzung bettelte, kam dann der Zusammenbruch. Und meine Chefin registrierte dies gar nicht als solchen, sondern zitierte mich ins Büro und machte mich dermaßen zur Sau, dass ich nur noch schweigend nickte. Ich verließ das Büro, brach dann in Tränen aus und ging nach Hause. Am nächsten Tag zum Doc und seit dem bin ich krank geschrieben. Jetzt seit einem Jahr.

Anfangs habe ich blauäugig versucht, einen Therapeuten nach Wunsch zu kriegen. Als ich aber die aktuelle Situation auf dem Psychotherapeuten-Markt bemerkte, war ich schon sehr verzweifelt und dachte, ich würde nie Hilfe kriegen.

Ich gab auf.
Zum aller ersten Mal.
Ich schluckte Antidepressiva und existierte von Tag zu Tag ohne dass etwas besonderes passierte. Einen Antrag auf Kostenübernahme lehnte die Kasse ab.
Dann setzte ich die Medis ab, ich wollte nicht mehr so teilnahmslos sein.

Einmal hatte ich einen guten Tag und schrieb ca 20 Therapeuten per Mail an. Das brachte dann endlich mal ein paar positive Antworten. Am nettesten antwortete mein jetziger Therapeut, der mir auch sehr schnell Termine anbieten konnte.
V
on da an ging es bergauf!
Er half mir, alles zu sortieren. Es in Pakete zu verpacken und weg stellen zu können, ohne dass es mich weiter belastete. Er baute mich auch wieder auf, denn mein Selbstbewusstsein war mega im Arsch.

Und nach und nach fand ich wieder zu mir! Ich entdeckte noch Dinge, die ich in meiner Patchworkfamilie ändern wollte. Ich brauchte dazu die aktive Hilfe meines Mannes. Der war nach vielen harten Streitgesprächen bereit, sich selber dafür auch Hilfe zu suchen und besorgte sich einen Coach. Er arbeitete gut mit diesem zusammen und setzte vieles sofort um, mehr als ich je erwartete! Gemeinsam haben wir nun einiges in unserem Alltag geändert und neu besprochen. Und dafür bin ich sehr sehr dankbar! Mein Mann war immer für mich da. Und als er nicht mehr weiter wusste bzw ich, da holte auch er sich Hilfe! Einen größeren Liebesbeweis gibt es für mich nicht, auch wenn ich mir unserer Liebe immer sicher war. 

Aber Liebe allein reicht bei einer Depression nicht. Hilfe, Anleitung und Coaching bzw Therapie sind nötig! Liebe ist dann das Add on.

In Summe waren es zu viele Kämpfe, die ich nicht gewinnen konnte. Es war einfach zuviel. 

Und das erste Mal, als ich vollends aufgab, passierte der Wandel, löste sich langsam der Knoten. 

Ich habe nun keine Alpträume mehr. Ich kann die Sachen, die uns passiert sind, annehmen. Ich kann sogar Gutes darin finden! Wie gut es doch ist, dass meine Tochter sich gewehrt hat! Wie gut mein Mann und ich die ganzen Attacken und das Stalking seiner Ex überstanden haben und uns immer noch so sehr lieben, wie am ersten Tag. 

Eine Freundschaft hat meine Depression nicht überstanden. Sie hat nachher in allem, was ihr nicht passte, meine Depression dafür verantwortlich gemacht und mich nicht mehr ernst genommen. Ich nehme es ihr nicht übel. Ich verstehe es. Es IST schwer, eine Depression bei einer Freundin wirklich nachzuvollziehen. Aber die Freundschaft ist trotzdem kaputt. So ist das wohl.

 

Jetzt fühle ich mich wieder! Ein schönes Gefühl. 

Und ich habe Pläne. Ich möchte nicht wieder in den alten Job zurück. Und ich würde gerne studieren. Mein Herzenswunsch seit Jahren. Das wäre dann „nur für mich“. 

Auch wenn ich nicht weiß, ob es klappt und wirklich das richtige für mich ist.

Aber ich werde es versuchen. Auch wenn ich Angst habe. Aber die gehört wohl dazu und ist ganz natürlich. 

Und wenn es nicht das richtige ist oder einfach zuviel wird, dann beende ich es eben wieder. Was habe ich zu verlieren? Ich habe es dann wenigstens versucht. 

Aufgeben ist halt manchmal doch die bessere Alternative. 🙂

Und Yoga! Ich möchte wieder mehr Yoga machen.
Und neue Freundschaften schließen. <3
Und neue Dinge probieren. Und mich akzeptieren. Mit Fehlern, unbedingt!
Ich möchte wieder mehr auf meinen Bauch hören.
Und eine Höchstgrenze für den Satz „Das ist eben so!“ einführen!
Nichts ist in Stein gemeißelt. Wir können Dinge wieder ändern. Das ist das Gute. 

Es war wirklich eine harte Zeit. Depressionen sind nicht lustig. Es ist schwer, wenn man sich plötzlich gar nicht mehr wieder erkennt. Wenn man ein Verhalten an den Tag legt, das man sich selber nicht erklären kann. Das auch für einen selbst keinen Sinn macht. Wenn man schwankt von purer Verzweiflung, die spürbar Schmerzen verursacht bis zu apathischer Teilnahmslosigkeit, die so unerträglich leer ist. Es gab Momente, die so voller Verzweiflung waren, dass ich nachvollziehen konnte, was einen Chester Bennington in die Ausweglosigkeit geführt haben muss. 

 

Was mir geholfen hat, war mein Mann. 

Mein Therapeut. 

Eine Freundin. Und noch eine. 

Ein Buch: „Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben.“

Menschen bei Twitter. <3

Die Zeit. 

Die Ruhe zuhause. 

Und ein Urlaub in der schönsten Natur. 

 

Jetzt muss ich nur den Weg aus der Depression raus in mein Leben schaffen. Ich bin da guter Hoffnung. 

Ich habe sehr viel gelernt. Auch von der Tatsache, dass ich in einer Depression steckte. Dieser Zustand wollte mir etwas verdeutlichen. 

Man kann nicht ständig nur kämpfen. Man muss auch mal wieder damit aufhören. Und man braucht einen Ausgleich. Dass ich den auch im Job nicht hatte, war fatal. Aber das werde ich nun ändern. Das ist wichtig.

Man braucht Kraft-Inseln. Und man muss für sich selbst sorgen. 

Selbstfürsorge ist eines der wichtigsten Schlüsselwörter. 

Dann wird alles gut, am Ende. 

Und irgendwie ist das Leben doch schön. 🙂

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