Depressionen | Gastartikel von Dani

Mein heutiger Gastbeitrag – der erste nach der Sommerpause – zeigt auf, wie unterschiedlich sich Depressionen zeigen können. Hier zum Beispiel in Aktivitäten. Und da finde ich mich auch drin wieder. Funktionieren, funktionieren, funktionieren… bis der Akku leer ist. Es war ein langer Weg für mich, aus diesem Verhaltensmuster auszusteigen.
Also sollte man einfach nicht vorschnell urteilen, weil ein depressiver Mensch nicht den ganzen Tag im Bett rumliegt.

Danke liebe Dani, für diesen sehr guten Text.


Ene mene muh-und raus bist du…
So oder so ähnlich fühle ich mich, wenn sie wieder zuschlägt.

Sie-meine Depression. Die mit zunehmenden Alter heftiger oder häufiger zuschlägt. Meine Begleiterin seit fast 26 Jahren. Ich bin 40 Jahre alt.

Ich habe durch verschiedene traumatische Erlebnisse in meinem Elternhaus eine PTBS entwickelt.
Gefühlt – und wahrscheinlich auch real – mehrfach. Na ja, damals war therapeutische Begleitung unüblich, ja verpönt. Ich komme aus einem Elternhaus, dass nach außen hin als nicht außergewöhnlich, ja sogar durch erfolgreiche Selbstständigkeit als wohlhabend und stabil zu bezeichnen war. Innerlich herrschte ein Klima der Gewalt, der Abwertung, des Alkohols und der Gefühllosigkeit. Zusätzlich habe ich eine Bindungsstörung, da ich meinen Eltern nicht wichtig war und als Baby ohne Emotionen versorgt worden bin. Mein Vater wollte nicht, dass ich „verwöhnt“ wurde. Ich war halt da und habe ihr Leben gestört. Aus all diesem und noch vielen einschneidenden Erlebnisse (versuchter Suizid des Vaters, Mutter Suizid, Obdachlosigkeit…) hat sich vermutlich die Depression entwickelt. Ich habe ein durchaus erfolgreiches Leben trotz dieser Schwierigkeiten geschafft. Ausbildung, zwei Kinder, Berufstätigkeit, alleinerziehend, nebenberuflich studierend). Ich bin hilfsbereit, fürsorglich und eine gute Freundin. Nicht schlecht, oder? In guten Phasen.
Aber dann gibt es noch die schlechten Phasen. Dann ist mit mir zu leben nicht immer leicht. Ich habe lange gute Phasen. Aber dann, durch eine kleine Äußerung von mir nahestehenden Menschen – schlägt sie aus dem Hinterhalt zu.
Trauriger Höhepunkt war ein Suizidversuch im Dezember 2013. Damit habe ich alle schwer geschockt. Meine heute beste Freundin konnte damit nicht gut umgehen, ist aber trotzdem für mich da gewesen. Fast keiner – ausser meiner Ex-Freundin und meiner Schwester – hat mich verurteilt. Ich musste meiner besten Freundin versprechen, dies nicht nochmal zu tun. Dies hält mich bis heute von ernsthaften Gedanken daran ab.
Sieht man mich von außen, fällt sogar in meiner akuten Phase Außenstehenden nicht auf, wenn es schlecht läuft. Meine Maske ist äusserst blickdicht. Für meine Liebsten ist es um so schwerer. Bis auf meine Kinder. Da sitzt die Maske auch fest. Ich bin auch dann die lustige, die zu laut ist, einen blöden Spruch auf den Lippen hat und immer lacht.
Ich bin schwerbehindert mit einem Grad von 50 wegen der Depressionen und der PTBS. Damit gehe ich sehr offen um. Das ist manchmal ein Fehler, weil man oft auf die Krankheit/Schwerbehinderung reduziert wird. In meinem Job besonders. Ich bin Sozialarbeiterin – auf dem Jugendamt. Da musst du emotional aufgestellt sein. Und paradoxerweise: das bin ich im Job!!!
Glaubt mancher nur schwer. Und dann kommen die Blicke. Oder die Gespräche wie im alten Job mit Personalabteilung, mehreren Vorgesetzten und dem Integrationsbeauftragtem. Sehr entwürdigend.

Weil alle Depressionen/Depressiven sind gleich, richtig?
Alle liegen in ihren schlechten Phasen auf dem Sofa/im Bett, können nicht arbeiten gehen, weinen nur, sind eigentlich nur faul, nicht widerstandsfähig, körperliche Krankheiten sind immer psychosomatisch und und und.
Nein, es tut mir leid, alle enttäuschen zu müssen. Genauso wie bei vielen Krankheiten gibt aus auch bei dieser Krankheit unterschiedliche Symptome. Meine Symptome sind eine tiefe Traurigkeit, Wertlosigkeit, wechselnd keinen Hunger und viel, keine Lust auf Sport, abstrakte suizidale Gedanken, Rastlosigkeit, Getriebenheit, das Gefühl kämpfen oder flüchten zu müssen. Und ich brauche viel Nähe – oder auch nicht. Wie ihr seht, es gibt keine immer gleichen Symptome.
Selbst bei mir nicht. Je nach Schub sind es immer andere. Voll spannend, was dann so winkend um die Ecke biegt. Ich kann gut aufstehen, bin aktiv mit Hund und im Haushalt, koche und backe dann viel, gehe gerne raus. Jetzt höre ich schon die ersten aufschreien: Das ist dann keine Depression. OH doch! Try walking in my shoes. Ja, ich kann arbeiten gehen, es gibt mir sogar Stabilisierung. Ich bin aktuell das erste Mal wegen Depressionen krankgeschrieben. Bis auf die Zeit in der Klinik. Aber da bin ich auch wieder nach einer Woche arbeiten gegangen.
Habe ich auf der Arbeit gesagt, dass ich wegen Depressionen krankgeschrieben bin? Nein!! Ich bin psychisch krank, nicht blöd 🙂 Weil, obwohl ich unter lauter Sozialarbeitern arbeite, gibt es dort kein Verständnis. Zudem habe ich einen befristeten Vertrag. Noch 18 Monate.
Dabei bin ich arbeitsfähig. Aktuell Vollzeit. Mein Wunsch sind 85%. Aber wenn ich das sage, heißt es, ich bin nicht belastbar. Ja, ich brauche mehr Rückversicherung, weil ich immer Angst habe, was falsch zu machen. Handle manchmal zu schnell, weil ich zeigen möchte, dass ich perfekt bin.

Der Drang nach Perfektionismus ist auch ein Teil meiner Krankheit. Fehler bei anderen stören mich nicht, jeder macht mal Fehler. Nur ich darf keine machen. Dann bin ich schlecht. Meine Depression äußert sich allerdings hauptsächlich im privaten. Kampf oder Flucht. Selbstbewusstsein: Gleich null.
Meine festen Überzeugungen sind: Ich bin nicht liebenswert. Ich werde verlassen. Ich muss funktionieren. Ich muss leisten.
Darum resultiert dann die Aufforderung an mich selber: Sei perfekt!Sei leise!Sei fürsorglich!Leiste! Benimm dich!
Irgendwann erliege ich den Überzeugungen und kann den Aufforderungen nicht mehr Folge leisten. Dann gehts los. So richtig. Sie übernimmt die Führung.
Dann ist immer meine beste Freundin M. die Hauptleidtragende.
Ich greife M. an mit Vorwürfen, u.a. dass sie sowieso geht und mich verlässt, mich nicht wertschätzt, genug lobt, sieht was ich für sie tue, bin eifersüchtig… Mit ellenlangen Textnachrichten. Ich brauche immer die Rückversicherung in Taten und Worten, dass M. mich lieb hat und nicht geht. Und ich die Wichtigste für sie bin.
Oder das andere Extrem: Sag, dass ich die Freundschaft nicht mehr will, um sie zu schützen. Vor mir. Bzw. denke ich, bevor sie geht, gehe ich. M. kommt oft an ihre Grenzen. Ja, sie ist auch nicht immer unkompliziert. Aber wer ist das schon? M. ist da, wenn ich sie brauche, rückt mir den Kopf zurecht, neckt mich, und schafft es immer, mich aus der Depression zu holen. Was für eine Verantwortung. Doch M. trägt sie (ich ignoriere jetzt mal die Stimme in meinem Kopf, die sagt: Und
wie lange noch??).

Es ist anstrengend. ICH bin anstrengend.
Bei meiner Frau klappt dies besser, da sie mir immer wieder Bestätigung gibt. Sie ist da sehr geduldig und hat mein Leben so viel schöner gemacht. Mich stabilisiert. Sie macht es nur fertig, wenn ich so traurig bin. Aus Gründen, die nicht existieren.
Ich habe seit vier Monaten wieder Therapie. Und einen Glückstreffer mit meiner Therapeutin erwischt. Es besteht die Hoffnung, wieder ein Stückchen näher an ein Leben ohne häufige Besuche der Depression zu kommen. Oder zumindest erträglicher für meine Umwelt zu sein.
Ich wünschte so sehr, ich hätte diese Krankheit nicht. Sie würde wegbleiben. Für immer. Oder wenigstens, dass mehr Verständnis in der Gesellschaft dafür vorherrscht. Ich habe es mir nicht ausgesucht. Ich will diese Krankheit nicht. Ich bin in meiner Kindheit seelisch und körperlich schwer misshandelt worden. Ich habe dies überlebt. Nur zu welchem Preis? Zu dem einer seelischen Schwerbehinderung. Das heißt, ich kann nicht zu 100% an der Gesellschaft teilhaben.
Weil ich manchmal mehr Ruhepausen brauche. Mehr Bestätigung. Lieber nur 80-90% arbeiten möchte.
Hört sich gar nicht so schlimm an, oder? Meine Einschränkungen beziehen sich wie mehrfach erwähnt nicht hauptsächlich auf den Job. Ich möchte ja keinem komplett auf der Tasche liegen.

Aber ein bisschen mehr Akzeptanz ohne Verurteilung, etwas mehr Hilfe, ohne mich auf die Krankheit zu reduzieren – das würde mir mehr helfen als jedes Antidepressivum. Mehr Vorsicht bei dem inflationären Gebrauch des Wortes Depression. Ich habe mich mit dieser Krankheit akzeptieren müssen – tut dies doch auch. Bei allen, die depressiv sind.

Weil wir Depressiven sind nicht nur depressiv – sondern oft auch ganz zauberhaft.

Entdeckt es!!

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