Depressionen | Gastartikel von Herrn Bock

Der heutige Gastartikel ist von Herrn Bock, dem Depressionisten. Ich denke, ich muss ihn sicher nicht mehr vorstellen, aber für den unwahrscheinlichen Fall, dass ihn jemand nicht kennt, hier könnt ihr das nachlesen. Markus Bock ist depressiv und schreibt darüber, in seinem Blog, auf Twitter und an seinem Buch über sein Leben als von Depressionen betroffener Mensch. Und heute schreibt er hier,

Ich danke Dir für Deinen Text, lieber Markus. <3


Tage wie heute …

… zeigen mir, dass ich es noch nicht geschafft, die Krankheit in meinem Kopf vollkommen in den Griff zu bekommen. Tage wie heute sind anstrengend. Tage wie heute fordern viel Kraft und Durchhaltevermögen. Tage wie heute habe ich vor nicht all zu langer Zeit noch im Bett verbracht, habe mir nicht die Zähne geputzt und bin nur mal schnell auf die Toilette. Vielleicht bin ich auch vom Bett aufs Sofa gewechselt, aber mehr? Ging nicht. Tage wie heute sind ein einziger Kampf gegen die Auslöser und die damit verbundenen vernichtenden Gedanken über meine Wertlosigkeit, meiner Selbstkritik und Angst. Tage wie heute muss ich einfach irgendwie aushalten, bis die erlösende Nacht kommt. Was sind Tage wie heute? Sie sind geprägt von Stress auf der Arbeit, Ansätzen von Mobbing, anstrengenden Gesprächen und dem Gefühl, ich kann dem Ganzen nicht genügen. Genüge ich denn? Mein Kopf sagt permanent nein. Irgendwann wird er mir auch wieder sagen, dass es so keinen Sinn macht. Gar keinen Sinn.

Tage wie heute sind die Mahnung, dass ich auf mich aufpassen und für mich sorgen muss. Tage wie heute lassen mich auch wieder lernen, mutig in Situationen zu gehen und für mich einzustehen, ich bin an solchen Tagen aber auch ein wirklich schlechter Schüler. An solchen Tage suche ich Nähe und Liebe, werde sie aber nicht bekommen, weil ich sie mir lautlos wünsche, dann erwarte und am Ende eh enttäuscht sein werde, weil nicht passiert. Wie denn auch, wenn ich den Mund nicht aufmache? Es ist einfacher nichts zu sagen. Ich hänge also wieder in der Melancholie fest. Nichts macht gerade Sinn. Nichts macht gerade Spaß. Alles ist zu viel. Ich möchte nicht schreiben, nicht lesen, nicht aufräumen, mich nicht um Projekte kümmern. Auch nicht um mich. Ich möchte hier einfach liegen und den Druck des Tages überstehen. Ich bin wie gelähmt. Ich stehe nicht vor dem Berg, der so unbezwingbar hoch erscheint, der Berg liegt scheinbar auf mir. Wie soll ich mich daraus befreien? Ich weiß es nicht. Mein Kopf hat eine Antwort: „Bleib liegen, hat eh keinen Sinn. War doch klar, dass du die Stabilität nicht erreichst. Du kriegst halt nichts wirklich hin.“ Recht hat sie, die Depression. Oder? Nein! Hat sie nicht. Aber ich gebe ihr Recht, weil es sich so anfühlt. Was leiste ich schon? Ich bin Vater. Ok. Ich kümmere mich um meinen Sohn. Ok. Ich gehe arbeiten. Ok. Ich schreibe einen Blog, bin bei Lesungen oder Vorträgen. Ok. Ich habe habe einen Verein mitgegründet und mache viel in der Öffentlichkeitsarbeit und rechtlichen und visuellen Gestaltung. Ok. Sicher mache ich auch noch viele andere Sachen. Das ist ok. Aber es keine Leistung. Das kann auch jeder andere. Also? Habe ich für heute mal wieder keinen besonderen Wert. Ich nehme mich nicht wahr. Ich kann nicht sehen, was ich mache, ich fühle es nicht. Es ist da, aber es – gefühlt – nicht gut.

Ich bin perfekt in Selbstkritik und Abwertung meiner Leistung. Ich leide seit rund 20 Jahren an schweren depressiven Episoden und Suizidgedanken. Heute rede ich darüber. Vorher? Habe ich es nicht verstanden. Ich habe mich nicht verstanden. Und ich konnte schon gar nicht darüber reden, was mit mir ist. Suizidgedanken begleiten mich noch heute. Immer mal wieder. Gerade an solchen Tagen wie heute, wenn der Berg auf mir liegt, die Gedanken mich erdrücken und ich nicht sehen kann, warum es sich denn zu leben lohnt. Ich perfekt darin, alles so darzustellen, dass es eben nicht gut ist. Alles dreht sich im Kreis. Ich fange an, mich wieder dafür zu hassen, dass andere meine Laune abbekommen, dass ich nicht kommunikativ bin, dass ich einfach – ja, einfach ich bin. Der Hass baut sich auf, bis mich die Suizidgedanken eingeholt haben. Sie fragen nicht, ob ich es machen will, sie wollen mir sagen, was ich machen werde. Und doch sind sie ein Freund. Ein Freund, der mich nicht ermahnt, sondern laut ins Gesicht brüllt: „ACHTE VERDAMMT NOCHMAL AUF DICH UND DEINE GEDANKEN.“

Werde ich. Wenn nicht mehr heute, dann morgen. Und morgen? Ist ein neuer Tag. Eine neue Entscheidung. Ich muss mich nicht den Gedanken hingeben. Morgen? Kann ganz anders werden. Für heute ist es eben so. Heute kann ich auch nicht den Stolz sehen, dass ich meine Struktur einhalte, zur Arbeit gegangen bin und bis zum Feierabend da war. Ich kann nicht sehen, dass ich toll mit meinem Sohn gespielt habe und er jetzt friedlich schläft. Ich kann nicht sehen, dass ich nebenbei viele andere kleine Dinge erledigt habe. Denn ich sehe, was ich nicht geschafft habe. Die Kleinigkeit. Das Negative. Das, was mein Kopf mir immer und immer wieder vorbetet, damit ich auch nicht vergesse, wie schlecht ich eigentlich wirklich bin. Also stelle ich wieder alles und mich infrage. Wie immer. Zumindest nur noch für heute.

„Vor nicht allzu langer Zeit“ war ich mitten im dicksten Sumpf. Ich konnte mich um nichts kümmern. Ich habe weder Rechnungen bezahlt, noch bin rausgegangen, noch habe ich mich bei Freunden gemeldet oder konnte die kleinsten Dinge einfach machen nicht machen. Es war kein Platz dafür. Ich hatte keine Kraft. Der Antrieb war komplett raus. Wie soll ich auch Kraft haben, wenn der Kopf morgens schon alles zerdenkt und die Blase mit all den Gedanken immer größer wird? Wie soll ich mich denn konzentrieren, wenn ich gar keinen Raum für dafür habe, eine Sache konzentriert zu machen? Es ist anstrengend, bei der Arbeit mit Notizen zu arbeiten und das eigene Handeln immer zu kontrollieren. Immer wieder. An Tagen wie heute.

Ich bin müde. Von Tagen wie heute. Von zu vielem Denken. Von dem Angst haben, ich könne meine Tage nicht mehr im Griff behalten, mich nicht mehr um meinen Sohn kümmern, nicht der Halt der Familie zu sein, nicht arbeiten zu können. Ich bin müde davon, mich ständig zu reflektieren, die Gedanken zu überprüfen, irgendwelche Übungen zu machen, Fragen zu beantworten, mich selbst zu fragen, auf andere Rücksicht zu und vor allem müde davon, eine Maske aufzusetzen.

Morgen. Morgen werde ich wieder wissen, was ich mir in den letzten 4 Jahren aufgebaut, wie wichtig das Schreiben für mich ist, was ich anderen Menschen mit meinem Handeln gebe, was ich erreicht habe und kann sicher auch wieder stolz sein. Stolz darauf, dass ich die Spirale unterbrochen habe, in der ich der Depression Futter gebe und sie mich dankenswert vereinnahmt. Sie hat heute nur noch wenig Räume. Aber sie ist da. Immer mal wieder. Nicht müde werde ich nicht, darüber zu reden. Wie anstrengend Therapien sind, wie schmerzhaft die Blicke auf sich selbst sind und wie lange manche Erkenntnis braucht. Morgen werde ich aber auch wieder wissen, dass die Krankheit eine Chance war. Eine Chance, mich kennenzulernen und beim Ich zu sein. Sie war eine Chance, mutig in die Welt zu gehen und so viel über mich zu lernen, andere Menschen zu treffen, mich auszutauschen und am Ende genau das zu tun, was ich gerne mache. Mit anderen reden, schreiben, gestalten, entstigmatisieren, aufklären, initiieren, organisieren. Sie hat mich fühlen lassen und gibt mir die Chance offen und authentisch über meine Gefühle zu sprechen. Sie hat mich empathisch gemacht und mir eine Menge soziale Kompetenz mitgegeben. Und doch ist all das an einem schlechten Tag nicht greifbar.

Ich lebe nach all den Erfahrungen, Erlebnissen und Geschichten meines Lebens noch immer. Und ich will das auch weiter tun. Ich gebe nicht einfach auf, auch wenn sich alles danach anfühlen sollte. Der Gedanke beruhigt und legt einen schützenden Mantel um mich. Ich kann noch immer dahin zurückflüchten – auch wenn ich es nicht will. Die Depression ist da – und auch nicht. Sie passt auf und lässt mich leben, schreit laut wenn es zu viel ist und nimmt mich gefangen, damit ich kurz Luft hole. Ich hole jetzt kurz Luft und lasse den Tag zu Ende gehen. Ich schaue nochmal nach meinem Sohn, gebe ihm einen Kuss und werde mich ins Bett legen. 3 gute Momente an diesem Tag: DAS ist die Aufgabe an jedem Abend. An jedem einzelnen Abend. Seit 4 Jahren. Damit dieser Tag nicht schlecht Enden muss. Ob ich die heute finde? Ja.

Die Depression hat mich bestimmt. Jetzt bin ich dran. Vielleicht.

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