Dieser Text gefällt mir gut. Und zwar kann man hier gut nachlesen und nachempfinden, wie schwer die Depression einen im Griff haben kann und wie wichtig es ist, für sich selbst ein individuelles Werkzeug zu finden. Mir gefällt das Fazit unter diesem Text sehr gut: Auch wenn die Depression nicht ausgestanden ist: Ein weitgehend normales Leben ist möglich. Das ist keine Allgemeingültigkeit, aber sicher für viele, die noch nicht „so weit sind“ vielleicht eine Perspektive. Ich kenne beide Seiten dieser nicht besonders glänzenden Medaille. Auf der einen Seite ist es sehr dunkel und man kann sich nicht ansatzweise vorstellen, dass es jemals eine Helligkeit im Leben geben wird. Und dann ist man auf der hellen Seite – und sieht ständig den Schatten. Mal größer, mal kleiner, mal fast unsichtbar. Aber – wo Licht ist, ist Schatten. Aber auch umgekehrt. Es ist möglich. Daran glaube ich jeden Tag.
Danke für Deinen Text, Lieselotte. <3
es war wie ein aufwachen. plötzlich stellte ich fest ich komme nicht nur
hier und da nicht klar sondern insgesamt ist alles viel zu viel. ich konnte
nicht genau fassen was es genau war. nie war irgendetwas einfach gewesen in
meinem leben von anfang an. die kranke mutter mit den kaputten beinen, die stets weinte und der aggressive trinkende vater vor dem wir angst hatten, wenn er dann mal da war. doch dachte ich als kind, die schwierigkeiten kämen von aussen. stress im kindergarten oder in der schule später der lehrstelle und den jobs schien von den menschen draussen herzurühren und das schien zum durchhängen und sich daheim verstecken wollen zu führen.
in diesem gefühl des aufwachens wurde mir bewußt das es von innen kommt. das es mir anders geht als den „anderen“, denn diese anderen menschen schienen alle zurecht zu kommen und ihr leben im griff zu haben. deren alltägliche beschäftigung mit dingen, die immer wieder gemacht werden müssen, wie aufräumen, essenkochen, geschirrspülen erschien mir mehr als absurd und ging an mir vorbei. oft saß ich vor irgendeiner arbeit daheim herum und plötzlich waren mehrere stunden um, ohne das ich etwas getan hätte. doch das war nur der anfang, es steigerte sich ins nicht hinausgehen wollen wegen der blicke der leute und schliesslich ins nicht hinausgehen können, weil eine tonnenlast auf mir lag. es kamen gedanken übers nicht daseinwollen und hier wegwollen und die sinnlosigkeit des lebenmüssens hinzu. fazit waren mehrere suizidversuche, viele jahre psychotherapie und einige zeit psychopharmaka.
durch die therapie wurden erlebnisse meiner kindheit ins bewusstsein geholt und betrachtet und aufgearbeitet und mit der zeit mein augenmerk auf mein befinden und meine tatsächlichen bedürfnisse gelenkt. es kam etwas licht ins dunkle, aber konkret im alltag änderte sich nichts. die nichtlebenwollenattacken kamen immer öfter, dazu die schuldgefühle, weil immer mehr dinge daheim unerledigt liegen blieben. immer wenn es ein paar tage gut lief und ich etwas schaffte, kam ein depressiver absturz, ich kam nicht mehr zurecht und hing durch, konnte nicht mehr klar denken. wenn es mir dann besser ging und ich etwas ordnung geschaffen hatte, wusste ich oft nicht mehr woran ich zuvor gearbeitet hatte. ich war umgeben von tausend angefangenen dingen und projekten.
einem anstoß von aussen durch einen bekannten folgend begann ich kalender zu führen und todo-listen zu machen um nachlesen zu können was ich wann tat bzw. was wann geschah. etwa zur gleichen zeit empfahl ein arzt mir wegen meines asthmas ein tagebuch zum thema atmung zu führen, um festzuhalten, wann das befinden besser oder schlechter ist. das baute ich aus und notierte meine tagesform. mit der zeit ergab sich einfache form der notiz in kürzeln. „(d)“ im kalender bedeute gedämpftes befinden oder innere leere, dann kam „d“ und danach „D“ was schon handlungsunfähigkeit bezeichnete. „D!!“ war hart an der grenze. diese notizen waren simpel, aber halfen mir denn es war etwas greifbares.
es waren zeiträume der depression und zeiträume der klarheit zu sehen und im zusammenhang mit der sonstigen kalenderführung erkannte ich, das die abstürze häufig im nachgang von belastungen und durchhalten müssen auftraten und das sie sich ankündigten. ausserdem nahm ich wahr, das mich dinge belasteten und anstrengten die anderen nichts oder nur wenig ausmachten. und das sich die abstürze ankündigten.
zu dieser zeit begann ich, die antidepresiva abzusetzen um klarer und fitter zu sein in den guten phasen. das klappte teils teils, also versuchte ich andere mittel. eine zeit verschrieb mir der hausarzt kavakava und dann johanniskrautkapseln, aber richtig half das nicht. die depressiven schübe kamen und gingen wie zuvor. eine freundin empfahl mir bachblütentropfen, die sie selbst nahm und da diese auch nicht „chemisch“ waren probierte ich die. langfristig halfen mir weder zoloft noch prothazin etc oder pflanzenpräparate. die tropfen „mustard“ waren hilfreich, um aktute beelendungsattacken kurzfristig zu stoppen. aber das war mir alles nicht ausreichend, ich wollte solche zustände nicht haben und auch nicht dauernd etwas einnehmen müssen und trotzdem immer wieder durchhängen und mühsam überleben. etwas später hatte ich das cortison für mein asthma auf ein minimum heruntergefahren. ich wollte einfach nicht täglich medikamente einnehmen und trotzdem lebenslang krank sein.
das alles fand natürlich als teilstrang meines lebens statt, nebenher familie und jobs und weiterbildung und geldverdienen und trotz aller schwierigkeiten das bedürfnis, voranzukommen, etwas zu lernen, um im leben um besser dazustehenals in der armut und hilflosigkeit meiner kindheit. aus diesem bedürfnis heraus besuchte ich verschiedene kurse und seminare. manchmal ein wochenende, andermal ein abend oder ein nachmittag zu verschiedenen themen u.a. philosophie, yoga, pflanzenkunde&gartenbau, autogenes training und ähnliche, hauptsächlich an der gesundheit und weltbetrachtung orientierte, angebote. unabhängig vom lehrstoff und den vermittelten inhalten bekam ich in diesen unterschiedlichen gruppen die möglichkeit zum gedankenausstausch mit den verschiedensten menschen. dabei gelang es mir, meinen eigenen standpunkt und mein leben von immer neuen blickwinkeln aus zu betrachten. immer wieder hörte ich meinungen und ansichten wie mit dem leben an sich klarzukommen sei, die ich zuvor nie gehört hatte. in der welt meiner kindheit und jugend kam es darauf an zur masse zu gehören, ordentlich und pünktlich zu sein, gekämmte haare und geputzte schuhe usw waren der offensichtliche lebensinhalt aller leute. nur mich interessierte das alles nicht wirklich und zur masse der durchschnittsbürger hatte ich nie gehört, stets war ich aussenseiter und nicht dazugehörig und isoliert gewesen.
mittlerweile führte ich außer dem kalender auch ein tagebuch, um den permanenten inneren dialog aus dem kopf zu bekommen und in depressiven zeiten, wo das formulieren von gedanken unmöglich war, malte ich. anfangs nur strichmännchen mit kuli in ein schreibheft gekritzelt. später auf empfehlung eines guten freundes mit tempera auf leinwand und nach einiger zeit war mir das alles zu aufwändig und ich begann am computer bilder aus eigenen fotos zusammenzusetzen, um dem gerade herrschenden befinden ausdruck zu verleihen. malen und schreiben linderten den inneren druck und so wurde auch der leidensdruck der depression gelindert.
ein weiterer auslösender faktor für eine grosse veränderung in meinem leben war der freitod meiner mutter. sie war zeit ihres lebens krank und hatte schmerzen. sie konnte nicht richtig laufen und lebte von invalidenrente. schmerzen, isolation und armut prägten ihr dasein und sie sprach seit meiner kindheit sehr oft davon, ihr leben zu beenden. als sie es dann getan hatte und wir sie fanden und ich mich um die beerdigung und alles gekümmert hatte, befiel mich schwere trauer und nichts ging mehr. monatelange krankschreibung und viele wochen kuraufenthalt folgten.
wie genau ich die zeit überstanden habe, kann ich nicht sagen. ich besuchte irgendwann wieder einen kurs. nur eine nachmittagsveranstaltung und sprach dort mit verschiedenen menschen und ein junger mann sagte zu mir: „das sich deine mutter das leben genommen hat, war ihr weg. du musst diesen weg nicht gehen, du hast dein eigenes leben.“ das klang simpel. das ist es auch. das ging in meinem kopf herum.
tage und wochen. das arbeitete in mir – ich habe mein eigenes leben- zuvor war dieses dasein immer etwas auferlegtes, erzwungenes, eine last gewesen, die ich zu tragen hatte. diese neue sicht das leben so etwas wie besitz ist, also eine möglichkeit und damit etwas gutes sei, war mir nie in den sinn gekommen.
wieder musste einige zeit vergehen, bis es mir richtig klar wurde, was das bedeutet und dann beschloß ich, zu leben. ich beschloß dem gedanken, das alles sinnlos und unwert sei, keinen raum mehr zu geben, ich beschloss mich an dieser welt zu beteiligen und hier zu bleiben. dieser beschluss half mir, genauso wie der beschluß zuvor, meine gedanken und gefühle mitzuteilen, sei es im gespräch oder als geschriebener text oder als bild, aus meinem inneren heraus in die welt zu bringen und das nicht, obwohl sie anders als die der anderen waren, sondern gerade deswegen. wie seltsam auch immer ich war, nun gehörte ich zu dieser welt denn ich bin am leben und lebe als teil dieser welt und habe ein daseinsrecht wie jeder andere auch.
das war der wendepunkt. trotz vieler weiterer schiksalsschläge im privaten berreich, schwierigkeiten im berufsleben und mehrerer chronischer krankheiten begann ich, mein leben anzunehmen. annehmen im sinne von tuen was gerade dran ist und ohne endloses zweifeln/grübeln /wägen ob es sinnvoll oder nicht ist. die zeit annehmen wie sie ist: morgens wird um eine bestimmte zeit aufgestanden, es wird gefrühstückt, es wird gearbeitet, es werden alle bewohner meiner kleinen welt versorgt. ich sorge für sie und sie sorgen für mich, indem sie da sind und mir gesellschaft leisten.
fürsorge für andere um für sich selbst zu sorgen. genauso mittagessen und danach ruhe. und abends dann zick da wird nicht mehr telefoniert oder mit irgendwem arbeitsblabla diskutiert. abends ist entspannung und raum für schönes wie lesen oder schreiben, lernen, handarbeiten, filme sehen etc. dann wird zu einer bestimmten zeit ins bett gegangen. dieses endlose nächtliche drama aus grübeln und alte fotos ansehen und weinen und verlorensein wurde beendet. der volksmund sagt: „die nacht ist zum schlafen da.“ ja so ist das und soll das auch bei mir sein. spätestens mitternacht ging ich ab jetzt zu bett.
das bett war mein sicherer ort, hier war stets ordnung und sauberkeit. hier durften weder unsere hunde herein noch irgendwelche leute. falls tatsächlich jemand herein will, wird geklopft und wenn ich nicht reagiere wird nicht hereingekommen. hier war ein ort der ruhe. hier war ich umgeben von büchern und meinen schönen dingen und keine arbeit drückte, endlich erledigt zu werden. früher war alles irgendwie und die nähsachen stapelten sich auf der nähmaschine am bett und sobald ich die augen auf machte, war ich schuld dass das noch nicht erledigt war. das einrichten eines sicheren ortes wo nur schönes und angenehmes ist half mir.
natürlich funktionierte nicht alles einfach so, es kamen weiterhin schübe grosser verzweiflung und schwerer depression wo nichts mehr ging. doch mein beschluss, am leben zu bleiben, war wie ein anker und die tagesstruktur war ein weg und durch das malen und schreiben ging die zeit der düsternis immer wieder vorbei. ich war nicht mehr hilflos, versank nicht mehr bis an den grund. diesen schüben kam ich auf die schliche, sie näherten sich an. zu bemerken durch desinteresse oder fehlende freude an dingen, die ich eigentlich gern mochte oder auch durch genervtsein oder „grundlose“ aggressivität. durch die aufmerksamkeit für das „anklopfen“ der düsternis musste ich sie nicht mehr hineinlassen in mein innerstes. es dauerte lange genug, bis ich mir selbst die erlaubnis erteilte, mich zurückzuziehen in diesem fall. doch dieser fall ist ein notfall. ebenso lang dauerte es das im umfeld durchzusetzen. diese dringend notwendige auszeit in mein leben zu integrieren. keinem ist gedient, wenn die mutter/ehefrau/freundin (ich) rumsitzt wie eine tote oder am stück heult und sterben will etc., so weit musste es gar nicht immer wieder kommen.
meine umwelt begriff, wenn ich mich zurückzog, dann aus dringender notwendigkeit. oft genügte es einen tag im bett zu bleiben nichts zu hören nichts zu entscheiden nichts zu müssen. manchmal tat es eine kleine ausfahrt, eine kleine schöne unternehmung mit familie und hunden oder auch ganz für mich allein. zeit ist nicht genormt. gefühle brauchen zeit. wo andere kaum eine träne vergießen und ich, weil ein haustier gestorben ist, wochenlang trauere und nicht normal leben kann, dann ist das so. das ist mein leben, das sind meine gefühle, das ist bei mir so.
der psychotherapeut, den ich mittlerweile nur noch zwei mal im jahr aufsuche, war und ist mir eine grosse hilfe. er ermutigt mich stets, dinge auf meine mir eigene art zu bewältigen und mein leben zu leben, denn das ist das wesentliche.
sich hilfe zu holen ist gut und richtig, eigene hilfskonzepte zu erstellen ist gut und richtig. sich anderen mitzuteilen und sich auszutauschen ist gut und richtig. aber die hauptsache sind die alltäglichen kleinen dinge: ausatmen – einatmen, schauen, sprechen, stulle schmieren.. wer normal leben will muss normale dinge tun.