Mein heutiger Gastartikel ist von Petra eingereicht worden und – erstmal im Spam gelandet. Da hatte ich tatsächlich länger nicht reingesehen. Ich bitte 1000x um Entschuldigung. Petra liest, glaube ich, schon länger hier mit und hat sich dann auch irgendwann ein Herz gefasst und einen Artikel für mich geschrieben. Ihr Text liest sich wie der Anfang eines Buches, ein Buch, dass ich sofort lesen wollen würde, so spannend, so dicht, so einnehmend. Und beängstigend. Danke für diesen intensiven Text, liebe Petra. <3 Ich hoffe, Du findest eine Antwort auf Deine Frage.
Angst
In der Dunkelheit,
Ist sie groß, stark und mächtig,
Und schleicht sich an,
Heimlich, still und leise!
Sie flüstert:
Guck dort, in der dunklen Ecke,
Lauere ich, die Angst,
Die Leise,
Die Mächtige, die Fremde, die ohne Worte!
Du musst, Du sollst es fühlen,
Ich will in Deinen Magen kriechen,
In Deine Beine,
In Deinen Kopf….
Ich will dich beherrschen!
Ich muss sehen und erkennen,
Dass das alles nur Lug und Trug ist!
Im Gemischtwarenladen gibt es die Möglichkeit einen Gastartikel über Depression zu schreiben. Ich habe mich lange geziert und bin auch jetzt noch nicht wirklich sicher, ob ich das tatsächlich möchte. Was ist eigentlich Depression?
Dort steht etwas von Suizidgedanken – ich habe nie im Leben auch nur ansatzweise daran gedacht mich umzubringen – in diesem Sinn bin ich demnach nicht depressiv.
Allerdings kann und muss ich sagen, dass ich solange ich denken kann, Angst habe – mal mehr, mal weniger. Angst bestimmt meinen Tag. Täglich, immer und immer und immer.
Schon als kleines Kind hatte ich Angst. Damals konnte ich nicht sagen wovor und heute kann ich es auch nicht. Meine Angst ist diffus und nicht greifbar. Was war ich zeitweise froh, wenn ich benennen konnte, was mir diese Furcht einflößte.
Dabei war ich ein, nach außen, sehr mutiges Mädchen. Ich bin auf Bäume geklettert, die Felsen hoch und hatte augenscheinlich keine Angst. Ich bin schon sehr früh alleine mit der Bahn von Hannover nach München gefahren – noch keine vier Jahre alt und ich saß alleine im Zug. Meine Eltern haben mich reingesetzt und meine Großeltern haben mich am Münchner Hauptbahnhof wieder aus dem Abteil gefischt. Meinen Proviant hatte ich dabei: Zitronentee, Brote, Obst und ein Kuchenstückchen. Auch wenn ich im Abteil der Zugbegleiter saß, ein Abenteuer war es allenthalben.
In München dann bin ich auch sehr frei unterwegs gewesen. Mein Großvater war Faktotum im evangelischen Landeskirchenamt und war so dort in den Büroräumen unterwegs, hat die Heizung repariert und das große Haus instand gehalten. Entweder bin ich ihm hinterher oder auf eigene Faust im Komplex unterwegs gewesen. Ich kann mich erinnern, dass ich beim Bischof unterm Tisch gespielt habe, während er seine Amtsgeschäfte verrichtet hat. Ob das spannend war – ich weiß es nicht, es war halt so!
Angst hatte ich im Keller. In jedem Keller. Bei meiner Hamelner Oma stand im Keller eine Waschmaschine aus Holz, ein Bottich mit Wasser, das mit offenem Feuer heiß gemacht wurde. Irgendjemand hat mit dem Feuer gekokelt, die Funken stieben und ich hatte Angst, dass dieser jemand verbrennt. …und er hat mich nur ausgelacht.
Krank war ich wohl. Diphtherie hatte ich und wurde mit Pferdeserum behandelt. Eine riesige Spritze und ein böser alter Doktor. Dann war da noch der blinde Onkel. In sein Zimmer musste ich immer und wollte nicht hinein. Sein Bett war überdimensioniert und total plüschig. Große Hände hatte er – wenn ich daran denke, kriecht die Angst in mir hoch.
Wenn ich was sagte, hieß es immer: Sei ruhig! Ich wollte immer helfen und da hieß es: Das kannst du nicht! Lass das! Lass die Finger davon! Als ich zwei war, wurde mein Bruder geboren – ein Sohn. Mit zweieinhalb wurde ich täglich in den Kindergarten geschickt, weil meine Mutter überfordert war. Bald bin ich ganz alleine jeden Morgen in den Kindergarten gegangen. Gerannt, muss man wohl eher sagen – oder geschlichen! Manchmal von Baum zu Baum – hinter jeden habe ich mich versteckt! Warum? Ich weiß es nicht!
Ich weiß nur, dass damals die Angst anfing und ich vordergründig immer mutiger und waghalsiger wurde. Frech und aufmüpfig. Aber wenn ich alleine war, immer an der Wand entlang lief.
Im Kindergarten habe ich mich stark gemacht, für Bettnässer und Weiner – habe diese in Schutz genommen und verteidigt. Habe mit fünf meinen Bruder an die Hand genommen und bin mit ihm einkaufen gegangen. Es war selbstverständlich! Petra macht das! Nur wenn Milch verschüttet wurde, dann konnte ich mal wieder was nicht, war nicht fähig auch nur die kleinste Menge Joghurt oder Milch zu kaufen. Du bist ganz schön dumm, noch nicht mal das kannst du!
Unser Klo war im Treppenhaus. Dunkel und kalt, aber in die Hose pissen, das geht gar nicht. An der Wand lang und Arsch zusammenkneifen… Nur keinen Krach machen! Das weckt das ganze Haus auf und der Onkel kommt aus seinem Zimmer.
XY- ungelöst. Überall lauerte ein Dieb, Mörder oder Verbrecher. Ich saß unter dem Tisch, wenn mich niemand sah, so war ich nicht da. Einzig meine Oma hat mich in den Arm genommen. Für meine Eltern war ich die große, die schon zupacken konnte. Wer da Angst vor einer Fernsehsendung hat, ist doch der größte Schisshase erster Güte. Das war doch nicht real!
Der dunkle Keller war real, der blöde Husten, die anderen Kinder, die mich hänselten, weil ich Jungs-Sachen anhatte, viel zu große Schuhe und wenn was Schönes, dann selbstgenähtes von meiner Mutter, die sich verkünstelte.
Außenseiter, schon von Geburt an. Immer was anderes, besonderes, nie so, wie die anderen. Als Mädchen, ein halber Junge – viel zu frech. Warum ich so frech war, danach fragte niemand. Um damit meine Unsicherheit zu überspielen. Nur keine Blöße geben! Hinfallen, aufstehen – Angst vorm neuerlichen hinfallen haben, weil ein kaputtes Knie gleich gesetzt wurde mit Tölpelhaftigkeit und das wurde mit scharfen Worten kommentiert. Kannst du noch nicht einmal laufen und fällst immer gleich hin und siehst gar nicht wie ein Mädchen aus!
Aber nebenbei war es selbstverständlich, dass ich meinen Mann stand.
Als zehnjährige bekam ich meine kleine Schwester auf dem Silbertablett – dazwischen noch einige andere Geschwister – aber dieses Baby war meins und ich sorgte für es. Meine Mutter hatte gerade ein Schneideratelier eröffnet und konnte kein Kleinkind gebrauchen. Mach das nur ja richtig! – Habe ich natürlich nicht!
Ich muss jetzt abkürzen – ich kann nicht alles schreiben! Ich war verantwortlich dafür, dass meine kleine Schwester einen Schlittenunfall hatte, meine Brüder fielen in ein Wasserloch vor unserem Haus – ich war schuld. Mein Vater bekam einen Herzinfarkt, weil ich zu spät nach Hause kam. Ich selber hatte nur noch Angst – wenn ich doch alles falsch mache, wozu bin ich nutze? Ich zog mich falsch an, ich redete zu viel, engagierte mich viel zu früh in der Politik, sollte nicht der Pastorin helfen. Meine Hobbies waren falsch, ich konnte nicht zeichnen – jedenfalls sah das Mein Vater so. Mein Talent, als Schauspielerin wurde als Spinnerei abgetan – wie eigentlich alles. Mein Vater war mein Lehrer in der Schule und ich hatte Zuhause Stress, weil ich die Mitschüler nicht verraten wollte und in der Schule, weil ich doch Daheim, die Aufgaben hätte einsehen können.
Von der Schule bin ich geflogen, weil ein Lehrer ungerecht war und ich mich nicht entschuldigen wollte. Was hast du denn jetzt schon wieder falsch gemacht? Irgendwas hatte ich immer falsch gemacht, bei irgendjemanden. Die, die auf Bäume kletterte und da nicht hingehörte. Von den Bäumen fiel und wenn andere Kirschen klauten, dafür den Arsch voll bekam, weil ich die Verantwortung hatte.
Abends bin ich heulend ins Bett, morgens voller Angst aufgestanden – doch wovor hatte ich Angst, es gab doch keinen Grund!
Wann ich als Kind beim Psychologen war und mit dem Puppenhaus gespielt hatte, weiß ich nicht mehr. Nur, dass ich damals schon nicht sagen konnte, wovor ich Angst hatte.
Dunkel ist die Hand meines Onkels in Erinnerung und eine Hand eines Fremden beim Oktoberfest…
Ich weiß nichts, ich habe keine Erinnerung – weiß nur Angst ANGST. Nichts greifbares, nur verschwommenes, diffuses, nebliges. Angst vor Dunkelheit und Geräuschen.
Keine Angst habe ich in der Geisterbahn, da ist nichts real, da ist alles gespielt. Ich bin selbst eine gute Schauspielerin, ich bin tough und selbstsicher, geben jedem Paroli und lasse mir die Butter nicht vom Brot nehmen. Mir kann keiner was!
Nur meine Angst, meine tägliche, immer und immer wieder – jeden Morgen weiß ich nicht woher sie kommt. Ich habe genug zum Leben, rein rational habe ich alles im Griff.
Nur diese Angst – ist das nun eine Depression?
…und so bin ich doch froh, dass du in dein Spam-Postfach geguckt hast! Sollte ich vielleicht doch ein Buch schreiben?
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(OT: Versuch das mal, Du liest sich jetzt schon sehr flüssig.)
Liebe Petra,
es berührt mich total und ich kann deine Angst regelrecht in mir selbst spüren. In meinen Augen liegt viel mehr hinter der Angst als nur eine Depression. Du bist als Kind durch so viele kleine einzelne Vorfälle traumatisiert worden . Ich frage mich immer, wie man so mit seinen Kindern umgehen kann. Es ist so unvorstellbar. Hast du therapeutische Hilfe?
Viele Grüße von Annie