Depressionen | Gastartikel der Rabenmutti

#Triggerwarnung sexuelle Gewalt, Wochenbettdepression

Depressionen sind ein Teil unserer Gesellschaft. Ein verborgener Teil. Der Teil, den wir am liebsten alle verstecken würden, weil wir uns schämen, weil wir Angst haben, und, weil sie schlichtweg nicht akzeptiert werden. Depressionen gelten als Schwäche und Schwächen haben in unserer leistungsorientierten Gesellschaft nichts zu suchen. Zum Glück sieht das Tante Emma anders und hat betroffene Menschen dazu aufgerufen, ihren Gemischtwarenladen mit ihren Geschichten zu bereichern. Da mische ich auch gern mit.

Ich bin Yasmin (Blog: https://dierabenmutti.de/),  noch 28 Jahre alt, Mutter einer kleinen Tochter (August 2013) und aktuell schwanger (ET Juli 2017). Wie lange ich konkret Depressionen habe, kann ich nicht mal sagen. „Wirklich optimistisch war ich nie!“. Ein Satz, den ich zu Beginn meiner Therapie sagte und der mich dann immer im Hinterkopf verfolgt hat. Eigentlich schildert er mein Leben ziemlich genau: Ich ging immer vom Schlimmsten aus, habe im Kopf immer Endzeitszenarien abgespielt und mich dann in meine eigene „selbsterfüllende Prophezeiung“ gestürzt. Zumindest emotional.

Wann fing alles an?
Hatte ich schon als Kind Depressionen? Schwer zu sagen – im Nachhinein. Wundern würde es mich nicht. Wir wurden oft geschlagen, Versprechen wurden nicht gehalten, ich wurde in der Schule gemobbt. Mir wurde körperlich viel Gewalt angetan, ich wurde als Kind vergewaltigt, als Teenager vom eigenen Stiefvater oft auf das Übelste wegen meines Gewichts beschimpft. Sicherlich gäbe es eine Menge Auslöser für Depressionen. Auch über Suizid dachte ich das ein oder andere Mal nach. Hatte Bilder im Kopf, habe mich geritzt. War allerdings viel zu feige auch was „Richtiges“ zu machen. Als ich mit 15 von zu Hause auszog, wurde es besser. Die Gedanken kamen nicht so oft zurück. Die erste große Liebe (Daniel) hat mich dann gerettet. Ich habe gespürt, dass ich etwas „wert“ bin. Dass ich geliebt werden kann. Es wurde besser. Mit dem Studium waren die finsteren Gedanken dann so gut wie fort. Natürlich kamen sie bei hohem Druck immer wieder auf. Aber ich habe mich dagegen gewehrt. Gegen alles.

Mein Leben geriet endlich in ruhigere Bahnen. Damit könnte ich am Ende meiner Geschichte sein. Leider aber holten mich diese fiesen dunklen Wolken wieder ein. Dieses Mal hatten sie es nicht auf mich abgesehen, sondern waren sehr viel grausamer: Sie wollten sich mein Baby holen. Zumindest gefühlt. Als ich schwanger war (sie war eine echte Überraschung), habe ich das noch gar nicht realisieren können, dass da ein neues beschützenswertes Leben in mir entsteht. Ich war damit beschäftigt mein Leben zu ordnen und zu sortieren. Neu auszurichten. Natürlich haben wir uns gefreut. Allerdings bekam ich panische Angst, wie ich – frisch aus dem Bachelor geschlüpft – für das Baby sorgen soll. Für seine Zukunft. Für meine Zukunft. Die ersten Quellwolken bedeckten meinen Horizont.

Und dann kam der berühmte Babyblues
Mit der Geburt verfiel ich dann in den berühmten Babyblues. Nur blöd, dass ich gar nicht wusste, dass sowas existiert! Im Geburtsvorbereitungskurs wurde nicht angesprochen, dass es „sowas“ geben könnte. Traurig. Schon hier würde ich mir wünschen, dass es zumindest angesprochen werden würde. Schon hier ist das ein Tabuthema. Im Wochenbett hat sich meine Hebamme nur für das Kind interessiert. Nicht für mich. Wie sollte ich meine Probleme erkennen, die ich gar nicht kannte? Also wucherte mein Babyblues vor sich hin und nahm üble Gestalt an – Wochenbettdepressionen: Ich dachte, das Baby hasst mich. Darum würde es so oft nach Milch verlangen, meine Brustwarzen zerkauen, mich leiden lassen. Vor jedem Stillen hatte ich Angst, bekam vorher schon Tränen in die Augen. Und ich war wütend. Wütend darauf, dass mein Baby mir absichtlich wehtat!

Selbstverständlich weiß ich, dass ein Baby sicherlich niemandem weh tun will. Diese Depressionen verdrehen einem aber leider den Kopf. Machen vernünftiges Denken nicht mehr möglich. Ich fing an zu zweifeln: An mir, dem Baby, an der Ehe. Ich verfiel immer tiefer in die Wochenbettdepressionen – wusste aber noch immer nicht, dass etwas schieflief. Erst als meine Kursleiterin Yvonne (DANKE!) mit mir darüber sprach, ich von MIR erzählte, kristallisierte sich heraus, dass ich wohl ein Geburtstrauma erlitten habe, der Verdacht auf Wochenbettdepressionen kam auf. Ich suchte sofort Hilfe.

Die Suche nach der richtigen Therapie
Beim ersten Anlauf sollte ich Pillen nehmen (ich hatte noch gestillt). Das wollte ich nicht und habe mich erschreckt zurückgezogen und entschieden, zu warten. Aber dann ging einfach gar nichts mehr. Ich habe mich nach einer anderen Methode umgesehen: Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Zunächst in Aachen, anschließend in Bonn habe ich dann regelmäßig über meine Probleme gesprochen.  Ich habe einfach erzählt, die Therapeutinnen haben hin und wieder Nachfragen gestellt. So sollte wohl eine Selbstreflexion erreicht werden. Ehrlich gesagt weiß ich bis heute nicht, wo das Ziel dieser Therapie liegt und, ob ich das erreicht habe. Oder, ob es überhaupt ein Ziel gibt. Ich war immer wieder auf der Suche nach Antworten. Habe immer wieder versucht Situationen zu erklären, einzuschätzen, einfach wiederzugeben. So lief es nun über eine lange Zeit. Dabei hatte ich immer wieder mit Altlasten (Kindheit, Vergewaltigung, Geburtstrauma) zu kämpfen, aber es kamen auch neue Probleme hinzu (Eheprobleme, Krebstod des Vaters, berufliche Rückschläge). Manchmal hatte ich das Gefühl, wenn ich einen Schritt vorwärts machte, ging ich anschließend zwei zurück…

Vor Kurzem hatte ich meine letzte Stunde. Ob die Depressionen verschwunden sind? Ob ich jetzt „geheilt“ bin? Keine Ahnung! Der letzte Termin lief ab wie immer: Hallo sagen, über die Woche brabbeln und dann verabschieden. Es gab kein Nachgespräch. Keine Nachfrage, ob sich was verändert hat. Nichts. Die Stunden waren geleistet, damit war ich auf die Straße gesetzt worden. Ein komisches Gefühl. Wirklich optimistischer bin ich noch immer nicht geworden. Oft will ich immer noch situationsbedingt vor meinem Leben davonlaufen. Allein auf eine Insel fliegen und Ruhe genießen. Eine neue Angst macht sich breit: Bin ich überhaupt bereit für ein zweites Kind?

Werde ich erneut in Wochenbettdepressionen verfallen?
Aktuell bin ich im letzten Trimester der Schwangerschaft. Mein Baby wird bald hier sein. Ob ich bereit bin oder nicht. Und langsam frage ich mich, ob es diesmal besser laufen wird. Ob ich mein Baby aktiv von Anfang an lieben kann. Meine Tochter konnte ich erst nach einem knappen Jahr wirklich aktiv lieben. So, dass ich warme Gefühle im Herzen hatte. Vorher war ich mehr ein Stein. Wenn ich Gefühle verspürte, dann meist negativ. Positive Gefühle kamen selten zu mir durch. Ich habe instinktiv gehandelt. Immer. Ich habe mein Baby nicht schreien lassen, es fühlte sich falsch an. Ich versuchte Stolz zu empfinden. Nähe zu spenden, wo es nur ging. Aber es fiel mir schwer, diese Emotionen auch zu spüren. Kraft aus einem Kinderlächeln zu ziehen. Es war, als wäre ich nicht wirklich am Leben. Als würde ich alles nur von außen betrachten. Recht komisch. Wird es wieder so werden? Ich hoffe nicht! Dafür möchte ich aber auch einiges tun.

Um erneute Wochenbettdepressionen zu vermeiden oder zumindest rechtzeitig zu erkennen, habe ich natürlich nun Einiges in Angriff genommen und geplant. Einerseits weiß die Hebamme Bescheid.  Wenn sie auch nur den leisesten Verdacht haben sollte, dass was nicht stimmt, soll sie mich ansprechen und direkt an Experten vermitteln. Außerdem soll mein Mann darauf achten, was ich so von mir gebe. Beim Geburtsplanungsgespräch im Krankenhaus will ich genau darauf eingehen, was alles schief gelaufen ist. Will von meinen Depressionen und der Horrorgeburt erzählen. Ich will aktiv dafür sorgen, dass schon die Geburt ein schönes Erlebnis wird, selbstbestimmt. Die letzte Geburt gleicht mehr einem Besuch im Schlachthaus, einer Vergewaltigung.

Natürlich weiß auch die Frauenärztin von den Depressionen. Diesmal weiß ich ja, dass es Babyblues und Wochenbettdepressionen gibt und kann entsprechende Signale deuten. Ich möchte mich keinesfalls erneut von dem Wirbel zu Boden reißen lassen. Die Angst ist aber natürlich dennoch da. Schaffe ich es, den Wirbel wieder zu besiegen, wenn er mich greift?

Die Selbstzweifel sind immer da
Bin ich dafür gewappnet? Bin ich eine schlechte Mutter, weil ich meinen Wunsch nach einem zweiten Baby verwirklicht habe, ohne sicher zu sein, ob meine Depressionen wirklich im Griff sind? Negative Gedanken wie diese möchte ich aber gar nicht zu sehr an die Oberfläche treten lassen. Das würde mich auffressen. Selbstzweifel kennt ja sowieso jede Mutter. Man darf sich nicht so sehr davon niedertrampeln lassen. Denn die Zweifel greifen über! Ich stelle meine Qualitäten als Mutter in Frage, als Kollegin, als Ehefrau, als Bloggerin. Alles. Sobald sie einmal loslegen, machen sie sich in jedem Lebensbereich breit. Ich muss anfangen rechtzeitig „STOPP“ zu schreien. Ich muss darauf vertrauen, dass ich es diesmal schaffe, wirklich rechtzeitig die Notbremse zu ziehen.

Hilfe zu suchen, wenn ich merke, dass meine Emotionen mich übermannen werden. Hilfe suchen ist nicht schlimm. Nichts, wofür man sich schämen müsste. Nur zu lamentieren, nichts anzupacken, keine Hilfe suchen. Das wäre schlimm. Oder mit den Depressionen hausieren zu gehen, um Mitleid zu erhaschen. Aber jeder der aktiv dagegen kämpft, der bereit ist was zu ändern, der hat einfach Respekt verdient. Darum ist es wichtig, dass wir darüber sprechen. Wir müssen der Welt zeigen, dass wir Kämpfer sind. Wir sind starke Menschen, die sich nicht unterkriegen lassen möchten.

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