Der heutige Gastartikel erreichte mich über Twitter. Tina meldete sich vor einiger Zeit auf meinen Aufruf hin und wir schrieben ein bisschen hin und her. Ich bin froh, dass das Schreiben des Artikels geklappt hat, denn es hat meiner Artikelreihe wieder einen sehr wertvollen Text geschenkt.
Und – ich muss schon wieder darauf eingehen – wieder eine Kinderseele, die schon frühzeitig gelitten hat. Ich glaube, ich muss der Sache mal ‚auf den Grund gehen‘ und herausfinden, ob wirklich so viele Depressive bereits als Kind erkrankt waren.
Ich danke Dir für den Text und dass Du den Mut gefasst hast, Deine Geschichte aufzuschreiben. <3
Ich bin durch Twitter und durch meinen eigenen Blog auf das Projekt von Tante Emma aufmerksam geworden. Ich muss gestehen, dass ich erst mal eine zeitlang gezögert habe, ob ich es auch wagen sollte, einen Gastartikel zum Thema Depression zu schreiben. War mir nicht sicher, ob meine Erkrankungen das überhaupt zu lassen würden
Durch einige Nachrichten, die Tante Emma und ich dann ausgetauscht hatten, habe ich mich aber dann doch darin bestärkt gefühlt, meiner Idee mich an dem Projekt zu beteiligen, zu folgen.
Nun sitze ich also hier und versuche einen Gastartikel zu schreiben. Ich, die schon seit sehr vielen Jahren mit dem Verfassen von Texten versucht, Dinge zu verarbeiten und/oder zu ordnen in ihrem Kopf. Ich, die seit einer Weile selbst einen Blog hat, in dem sie versucht offen über alles zu schreiben.
Ich, die jetzt hier sitzt, mit Herzklopfen, zitternden Händen, der Angst im Nacken, hektischer Atmung und einem beschädigten Innerem. Trotzdem werde ich diesen Artikel schreiben, da mir das Thema sehr wichtig ist.
Mein Name ist Tina, ich werde Ende des Jahres 36 Jahre alt und leide offiziell seit Oktober 2014 an einer Posttraumatischen Belastungsstörung, einer rezessiven mittelgradigen Depression, Angst/Panikstörung, Dissoziativen Störung und keine Ahnung was noch alles.
Eins meiner Traumata wurde im September/Oktober 2014 reaktiviert durch ein sehr unschönes und lebensbedrohliches Erlebnis mit meinem Ex-Freund. Seit dieser Reaktivierung bin ich auch arbeitsunfähig und bis heute noch immer wieder instabil.
Was mir bis zu diesem unschönen Ereignis nie wirklich klar war ist, dass ich schon sehr viel länger nicht in Ordnung war. Was ich heute mittlerweile weiß ist, dass bei mir schon in sehr frühen Kleinkindalter traumatische Dinge passiert sind. Meine Traumatisierungen beziehen sich, dass weiß ich heute, auf beide Geschlechter.
Mir wurde schon als sehr kleines Kind von meiner Familie, meinem Umfeld verdeutlicht das ich a) anders bin und b) ich, so wie ich bin, „falsch“ bin. Sprich mein „anders“ sein war falsch.
Und ja, ich war tatsächlich „anders“. Im Gegensatz zu meinen beiden älteren Geschwistern (1 ältere Schwester, 1 älteren Bruder), war ich einfach ein Tacken sensibler, empfindlicher und somit auch verletzlicher. Das in Kombination mit einer cholerischen, chronisch überforderten, alkoholsüchtigen Mutter, war allerdings nicht so gesund für mich.
Ich wurde also schon damals traumatisiert. Die ersten Anzeichen dafür, dass etwas Gravierendes nicht mit mir stimmt, tauchten im Grundschulalter auf. Ich entwickelte (?) eine psychisch bedingte temporär auftretende Hörstörung, die ich bis heute noch habe. Woher ich weiß, dass sie psychisch bedingt ist? Ganz einfach, ich wurde dann doch mal, als es einen für mich bis heute sehr unangenehmen Vorfall in der 4ten Klasse zwischen mir und meiner Klassenlehrerin gab, körperlich untersucht. Laut Aussage des Arztes der mich untersuchte, hätte ich, nach Auswertung des Hörtestes taub sein müssen. Anstatt das aber weiter untersucht wurde, oder mal jemand auf die Idee kam das es psychisch bedingt sein könnte, wurde das Thema einfach fallen gelassen.
Wann ich das erste Mal depressiv wurde, kann ich heute nicht mehr sagen. Ich kann nur sagen, dass dieses Gefühl, was ich heute als Depression kenne, schon sehr lange immer und immer wieder in mir war. Ich weiß, dass ich schon im Grundschulalter damit durch die Gegend gelaufen bin. Jetzt im Nachhinein wundert mich das nicht. Kein Kind kann unbeschadet damit aufwachsen, zu wissen das es „falsch“ ist wie es ist. Kann nicht unbeschadet damit aufwachsen, dass es laut Aussage diverser Familienmitglieder und Freunden der Familie, dumm, hässlich, blöd, irre und einfach nur scheiße ist. Das hinterlässt Spuren.
Was ich aber weiß ist, dass ich im Alter von 14 Jahren in einer sehr schweren und langen andauernden depressiven Phase war. Diese Phase war so schwerwiegend depressiv, dass ich sogar versucht habe, mich um zu bringen. Zum Glück, das sage ich heute, erfolglos.
Ausgelöst wurde diese schwere depressive Phase durch eine erneute, fast zwei Jahre andauernde Traumatisierung, die mir durch den Untermieter im Haushalt meines Vaters wo ich zu dem Zeitpunkt wohnte zugefügt wurde. Das was dieser Untermieter mit mir machte ließ mich innerlich komplett abrutschen.
Eine gute Sache ist aus all dem zu dieser Zeit entstanden. Als ich in meiner Verzweiflung(?) versucht habe mich selbst zu töten und diese misslang, war ich erst mal völlig „gelähmt“. Doch dann begriff ich, dass ich nur zwei Möglichkeiten hatte. Die Erste war, es noch mal zu versuchen und dann aber richtig oder aber und das war die Zweite, mir Hilfe zu holen um irgendwie wieder aus diesem leider tödlichen Loch heraus zu kommen.
Ich habe mich zum Glück für die zweite Möglichkeit entschieden und mir gleichzeitig damals das Versprechen gegeben, es nie, nie wieder soweit kommen zu lassen, dass ich aufgebe. Dass, wenn ich mir jetzt Hilfe suche, ich es auch wirklich bis zum bitteren Ende durchziehe.
Nun, ich habe nur einen Teil dieses Versprechens bis vor drei Jahren eingehalten. Ich habe bis heute nicht aufgegeben. Allerdings habe ich es trotz der Gesprächstherapie, die ich damals mit 14,5 Jahren begonnen hatte, nicht geschafft es auch wirklich bis zum bitteren Ende durch zu ziehen.
Ich weiß heute, dass ich so stark traumatisiert war und ja auch noch weiterhin zu dem Zeitpunkt traumatisiert wurde, dass ich mich einfach nicht wirklich öffnen konnte. Als aus unterschiedlichen Gründen diese erste Gesprächstherapie also beendet war, war ich weit davon entfernt „geheilt“ zu sein. Leider habe ich aber nicht weiter gemacht mit der Therapie bzw. habe mir keinen neuen Therapeuten gesucht, sondern habe das getan was ich bis heute leider immer noch gerne tue. Ich habe die Rolle gespielt, die ich mir im Kleinkindalter schon angefangen habe an zu eigenen. Habe so getan, als wäre nix und mir einfach stumpf immer wieder gesagt, es ist alles in Ordnung.
Ich habe so getan, als gäbe es meine Depression nicht, habe alles was in meinem Inneren so falsch war, stumpf ignoriert und jede Verbindung zu mir selbst „gekappt“.
Funktioniert übrigens nur bedingt. Ich hatte trotz allem immer wieder Aussetzer, habe trotz all meiner Versuche die Fassade zu wahren, immer wieder unverhältnismäßige Reaktionen gehabt. Ich konnte sprichwörtlich explodieren vor Wut in einem Streit wobei die Wut in keinem Verhältnis zu dem Anlass des Streits stand. Ich hatte immer wieder nur sehr schwer zu kontrollierende Impulse/Emotionen.
Im Jahr 2014, begann mein Inneres schließlich meinen Körper anzugreifen. Dies in Form von sehr schlimmen Migräne-Attacken, schlagartig auftretender Schwindel, tagelanger extremer Müdigkeit und dem Gefühl von absoluter Kraftlosigkeit. Ich fühlte mich oft gefangen in allem und extrem überfordert mit selbst den simpelsten Dingen. Trotzdem habe ich weiter an meiner Fassade, meiner „Alles-ist-Gut-Rolle“ festgehalten. Ich glaube, dass hätte ich wahrscheinlich noch bis heute, wenn nicht diese eine Sache da passiert wäre, die mein inneres Kartenhaus komplett zum Einsturz gebracht hätte.
Nach diesem Ereignis hat meine kranke Psyche endgültig die Notbremse gezogen und mich durch das erneute Angreifen meiner körperlichen Gesundheit, zum „anhalten“ gezwungen.
Meine Depression trat danach so stark nach vorne, dass praktisch nichts mehr ging. Das einzige Gefühl was meine Depression zuließ, war das der Angst. Gleichzeitig blockierte meine Psyche meine Fähigkeit zu sprechen. Ich konnte zwar noch sprechen, aber nicht ohne zu stottern und zudem nur sehr langsam. Wenn meine Angst zu hoch wurde, fing ich zudem noch an zu zittern und konnte dann teilweise gar nicht mehr reden.
Der Schock über das was mir passiert war, die Hilflosigkeit über das, was meine Psyche mit mir machte, werde ich nie vergessen.
Allerdings hat dies dann endlich (das sage ich heute) dazu geführt, dass ich doch angefangen habe mich meiner kaputten Psyche zu stellen. Mir blieb ja auch praktisch nichts Anderes übrig.
Ich war mittlerweile bereits zwei Mal in zwei unterschiedlichen Kliniken. In der ersten war ich ganze drei Monate. Während diesem Aufenthalt habe ich die ersten zaghaften Schritte in Richtung dem gemacht, um das es mittlerweile heute geht. Zwar habe ich es selbst dort nicht geschafft wirklich mal den Mund auf zu machen ABER ich denke darum ging es den Therapeuten dort auch noch gar nicht. Das Ziel dort war es erstmal, mich wieder einigermaßen zu stabilisieren, sodass ich am Ende, als ich entlassen worden bin, wenigstens wieder „normal“ Sprechen konnte und bis heute nur noch unter sehr hohem Druck anfange zu stottern.
Leider hielt diese Stabilisierung nur wenige Monate an. Meine Traumata waren ja immer noch da und weiterhin nicht verarbeitet. Da kurze Zeit nach meiner Entlassung dann wieder etwas sehr Ungesundes in meinem Leben mit mir passierte, verschlimmerte sich mein Zustand wieder extrem. Ich wurde wieder sehr stark depressiv, war tagelang so stark darin gefangen, dass ich eigentlich gar nix mehr tat. Wenn ich meine Hunde nicht gehabt hätte, wäre ich noch nicht mal aufgestanden. Ich ging fast gar nicht mehr vor die Tür, war praktisch nicht erreichbar, vergrub mich immer weiter in meiner Depression. Ließ diese immer mehr Macht über meinen Alltag erlangen, gab mich eigentlich fast auf. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wenn nicht auch diese Angst wieder so akut aufgetreten wäre, ich mich nicht dazu hätte bewegen können was zu ändern. Zwar hatte ich nach dem Klinikaufenthalt eine Gesprächstherapie bei einem Therapeuten angefangen aber auch dieser war ab einem gewissen Punkt machtlos und konnte mir nicht mehr helfen. Zum Glück hat er das allerdings erkannt und mich nach langem hin und her dazu bewegen können, mich erneut stationär behandeln zu lassen. Diesmal dann allerdings in einer Klinik die sich auf Traumatherapie spezialisiert hatte.
Das war das Beste was mir machen konnte. Der Aufenthalt in dieser Klinik hat mir sehr, sehr viel gebracht. Zwar bin ich immer noch weit davon entfernt „geheilt“ zu sein und vielleicht werde ich das auch nie sein ABER ich arbeite unermüdlich daran, dass es mir besser geht oder es zumindest erträglicher wird.
Ich bin heute in der Lage meine depressiven Phasen besser zu erkennen, damit um zu gehen bzw. dagegen an zu wirken. Ich kann sie akzeptieren und teilweise auch manchmal erkennen woher sie kommen. Das allein ist schon sehr viel wert.
Zum Schluss kann ich jetzt noch eine Sache sagen:
Psychisch krank zu sein ist nichts, rein gar nichts für das man sich schämen sollte. Es hat auch überhaupt nichts mit Schwäche zu tun. Im Gegenteil, es ist meistens immer ein Indiz dafür, dass man etwas „überlebt“ hat, das man „durchgehalten“ hat und somit ein Zeichen dafür, dass man stärker ist als man es vielleicht denken mag.
Schämt euch niemals dafür und habt niemals Angst davor euch Hilfe zu holen, wenn ihr merkt ihr packt es nicht mehr alleine. Ich war mein Leben lang im Prinzip auf mich allein gestellt, musste all das alleine bewältigen, damit klar kommen etc. Für mich ist das ein riesen Ding Hilfe anzunehmen und es war ein riesen Schritt für mich zu sagen „Ich brauche Hilfe“. Wurde mir doch beigebracht, dass ich doch gefälligst selbstständig meine „Probleme“ lösen sollte.
Ihr solltet eher stolz auf Euch sein, dass ihr noch „da“ seid, noch lebt und atmet und trotz allem was evtl. in Eurem Inneren ist, weitermacht. Und sollte Euer Umfeld nicht damit klar kommen, dass ihr psychisch krank seid ist das eher ein Zeichen dafür wie schwach euer Umfeld ist und nicht ihr.
In diesem Sinne, bleibt Stark 😊
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