Depressionen | anonymer Gastartikel

Der heutige Gastartikel hat mich ebenfalls über Twitter und einen meiner (zahlreichen) Aufrufe erreicht. Über eine Reihe von ausgetauschten Nachrichten und in Kombination mit diesem Text habe ich dort eine starke und sehr interessante Persönlichkeit kennengelernt. Ich mag das Wort „Powerfrau“ kein bisschen, aber es passt hier nunmal sehr. Du bist wirklich eine starke Frau. <3

Und wieder entdecke ich hier eine erschreckende Parallele zu mir: Wieder ein Mensch, der als Kind bereits an Depressionen erkrankt war und leider auch damals nicht die richtige Hilfe empfangen hat.

Ich bin froh zu Lesen, dass Du so weit gekommen bist auf Deinem Weg, bitte finde Dich weiter. Ich danke Dir für diesen Text. <3


Sie kam plötzlich, total unerwartet. Zumindest für mich. Im Nachhinein muss ich mir eingestehen, dass es absehbar war.

Als ich jünger war, sagte man wenn man traurig ist: „Ich bin depri drauf.“

Depri. Eine Verniedlichung. Depri klingt nicht nach einem schwarzen Loch, depri klingt eher nach etwas fröhlichem. Doch Depression ist alles andere als fröhlich. Sie ist bitter. Sie ist hart. Und sie ist verwirrend. Gerade wenn man selbst noch nicht viel mehr als ein Kind ist.

Bereits in der Grundschule hatte ich immer wieder depressive Episoden. Die Ursache ist klar: Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen in dem ich emotional und physisch vernachlässigt wurde. In dem ich ständig indirekter körperlicher und direkter psychischer Gewalt ausgesetzt war. Wenn meine Mutter die Wahl hatte, hat sie sich meist für die Kerle in ihrem Leben entschieden. Die waren nicht ohne. Alle mit einem psychischen Schaden. Das färbte ab.

Also bereits in der Grundschule hatte ich immer mal wieder depressive Episoden. Kam kaum aus dem Bett, fühlte mich matt, hoffnungslos. In der 5. Klasse versuchte ich mir das Leben zu nehmen. Klappte nicht.

Meinen ersten richtigen depressiven Schub hatte ich mit 16. Wieder einmal hatten mir Menschen die Freundschaft gekündigt. Ich war allein. War jenseits von traurig, aß kaum noch, wollte einfach nicht mehr. Tatsächlich vertraute ich mich damals meiner Hausärztin an, die mich an einen Psychiater vermittelte. Ich bekam Antidepressiva.  Ich fing mich relativ schnell., brach die Therapie ab. Verliebte mich. Versuchte weiter zu funktionieren. Das klappte mehr oder minder gut, bis ich verlassen wurde. Dann ging es los.

Ich fiel in ein tiefes Loch. Es kam mir vor, als ob ich nie wieder das Licht erblicken würde. Weinte die ganze Zeit, wollte nicht mehr rausgehen. Wieder aß ich kaum. Schule schwänzte ich immer öfter. Mir wurde schnell klar, dass ich Hilfe brauchte. Also fing ich mit 17 wieder eine Therapie an. Sie half etwas, bekam immer wieder Antidepressiva. Starke Antidepressiva. Versuchte zu funktionieren, mein Abi zu schaffen. Nahm öfters mal zu hohe Dosen. Trank Alkohol dazu. Hatte irgendwie immer die (Nicht-) Hoffnung, dass ich nicht mehr aufwachen würde. Die Therapie brach ich nach einem ¾ Jahr ab.

Derweil sagte mir meine Familie, dass ich mich nicht so anstellen brauche, dass es ihnen viel schlimmer geht. Sowohl meine Mutter, als auch meine Schwester und mein Bruder sind depressiv. Meine Mutter und meine Schwester sahen nur ihr eigenes Leid. Beide wurden von ihren Vätern misshandelt und missbraucht, beide hatten Beziehungen mit physischer, psychischer und sexueller Gewalt mitgemacht. Beide hatten haben ein Alkoholproblem. Und beide waren der Meinung, dass ich kein Recht hatte mich so anzustellen. Dass ich das alles bereits als kleines Kind mitbekam zählte nicht. Soweit sie wussten ist mir selbst ja nie irgendwas davon widerfahren. (De facto ist mir genau das alles auch widerfahren, allerdings habe ich früh genug die Bremse gezogen, weil ich nicht die Fehler anderer wiederholen wollte). Für sie gab es keinen Grund warum ich nur am weinen war, warum ich nicht mehr Leben wollte, warum der Schmerz so f***ing unerträglich für mich war, dass ich mich selbst verletzte.

Ich fühlte mich allein, unverstanden, ungeliebt, ungewollt.

Ich war in einem tiefen Loch. Ich hatte keinen Lebenswillen. Und es wurde nicht besser. Nach ein Monaten versuchte ich mich wieder zusammenzureißen. Ging sporadisch in die Schule (ich hatte ein Attest), ging viel aus. Schlief mit vielen Kerlen. Versuchte die Leere in mir zu füllen.

Irgendwie schaffte ich mein Abitur. Mir ging es immer noch nicht besser. Bereits 3 Jahre hatte mich die Depression im Griff. Die Tabletten setzte ich ab. Ich hatte Angst davor, dass ich mich irgendwann nicht mehr kontrollieren können und die ganze Packung nehmen würde. Auch die Therapie brach ich ab. Stattdessen versuchte ich mich selbst zu therapieren. Schrieb viel. Dachte viel nach, sprach viel mit meiner besten Freundin darüber. Ich wurde Mitglied in einer Partei.

Doch immer noch hatte mich die Depression im Griff. Erst als ich meinen jetzigen Partner kennenlernte wurde es besser. Entgegen aller Erwartungen blieben wir langfristig zusammen. Er gab mir das Gefühl gewollt zu sein, geliebt zu werden. Er und meine beste Freundin hörten mir zu. Sie hörten mir zu und verstanden mich.

Seit ungefähr 3 Jahren bin ich stabil. Ich habe gelernt über meine Probleme zu reden. Erst brauchte ich geraume Mengen an Alkohol dafür, inzwischen geht es auch ohne. Ich kann über meine Probleme reden, merke recht schnell wenn ich in einer depressiven Phase bin und kann Gegenmaßnahmen ergreifen. Ich denke über die Auslöser nach, meditiere, entspanne mich, ziehe mich auch mal ein paar Tage zurück.

Ich habe meine Vergangenheit aufgearbeitet. Den Missbrauch, den ich als Kleinkind durch den pädophilen Freund meiner Mutter überlebt habe, die ganzen Psycho-Freunde meiner Mutter, die über 3 Jahre dauernden Vergewaltigungen meiner Mutter durch ihren damaligen Freund die ich aus dem Nebenzimmer mitbekam, die Alkoholsucht meiner Mutter und meiner Schwester. Und was für mich persönlich das Schlimmste war: Der psychische Missbrauch, den ich durch die Zwei erlebt habe.

Ich habe gelernt, die Dinge beim Namen zu benennen, sie aufzuarbeiten, sie nicht mehr zu verdrängen.

Ich finde mich. Und je mehr ich mich finde, desto weniger Macht hat die Depression, dieses schwarze Monster, welches in den Schatten lebt, über mich.

Kommentare (2)

  1. Als Erzieherin bekomme ich oft mit in welchen desolaten Zuständen Kinder aufwachsen. Sie haben keine Wahl. Und umso beachtlicher finde ich es, wenn es jene Menschen, wie die Autorin dieses Beitrags gibt, die ihre schadhafte Kindheit reflektieren und ihr Leben als Erwachsener in die Hand nehmen. Denn dann hat man eine Wahl, braucht aber so viel Kraft.
    Hut ab.

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