Depressionen | Gastartikel von Maruschka Stern

Ich freue mich sehr, Euch heute den Gastartikel von Maruschka Stern zu zeigen. Sie ist auf andere Art von Depression „betroffen“ weil sie Behandlerin ist. Ich finde den Einblick, den sie uns hier gewährt, sehr spannend. Danke fürs Mitmachen, liebe Maruschka.

Therapeutische Arbeit
„Moin zusammen! Wie geht’s Ihnen? Wie war die Woche bisher? […] Wir werden uns in nächster Zeit mit dem auseinandersetzen, was Sie alle leider ziemlich gut kennengelernt haben: Depressionen bzw. depressive Episoden. Woran erkennt man die eigentlich? Bin ich depressiv, wenn ich traurig bin? [Kollektives „NEIN“ – meistens jedenfalls.] Wo ist dann der Unterschied?…“

So oder so ähnlich läuft der Einstieg in den psychoedukativen Teil meiner Arbeit mit Gruppen oder einzelnen Patienten.

Aber worauf will ich eigentlich hinaus? Ich bin seit fast zehn Jahren als Psychologin therapeutisch tätig und finde es so unfassbar wichtig, dass Menschen über Depressionen und auch über andere psychische Störungen aufgeklärt sind/werden – insbesondere wenn es sie selbst oder Angehörige, Freunde, Kollegen oder wen auch immer betrifft. Eigentlich würde es nicht schaden, wenn jeder etwas mehr darüber wüsste. Dazu später…

Die Depression als eigener Experte verstehen
Für Patienten geht es in der Psychoedukation vor allem darum, selber Experten zu werden, sich und ihre Depression zu kennen und zu verstehen, Risiko(lebens)situationen und erste Warnsignale wahrnehmen zu können, funktionale Bewältigungsstrategien am Start zu haben, sich nicht mehr so derart hilflos zu fühlen. Denn das kennen die meisten in der Regel leider schon viel zu lange viel zu gut.

Depressionen sind behandelbar
Ja, Depressionen sind fies, sie lähmen, sie machen traurig, lustlos, freudlos, hoffnungslos, suizidal und noch so viel mehr. Aber sie sind behandelbar – nicht garantiert heil-, aber behandelbar und es lohnt sich, für eine Besserung zu kämpfen. Klingt jetzt vielleicht etwas pathetisch, aber für Patienten ist es oft ein ziemlich schwerer Kampf. Und wenn die Depression dann noch in die zweite, dritte oder vierte Runde mit ihnen geht, brauchen sie Kraft, Ausdauer und eine nicht zu unterschätzende Selbstwirksamkeitserwartung, um im Ring zu bleiben.

So, und jetzt ist später (s.o.)…warum sollte jeder etwas mehr über Depressionen wissen? Einerseits hilft es zu verstehen. Wenn ich weiß, wie der „schwarze Hund“, wie der Kollege Johnstone die Depression ziemlich anschaulich beschreibt, so tickt, kann ich Symptome erkennen, Denken und Verhalten anders – meist weniger persönlich – bewerten, Hilfe und mal das ein oder andere Leckerli anbieten und werde damit (wenn’s gut läuft) im Umgang mit Betroffenen empathischer, entspannter, authentischer und ein kleines Stück professioneller. Okay, das will nicht jeder…aber glaubt mir, es schadet nicht. Und dann dürfen Betroffene vielleicht einfach von ihrer tatsächlichen Depression berichten, anstatt ständig von der vermeintlichen Coke Zero unter den depressiven Störungen, nämlich dem offensichtlich weniger negativ besetzen „Burnout“, zu reden. Verständnis und Akzeptanz sind hier the words 😉

Information ist wichtig – auch für Außenstehende
Andererseits hilft Information auch gegen den inflationären, unreflektierten und oftmals falschen Gebrauch von Fachtermini, die ganz klar definiert sind. Übrigens gilt das auch für Begriffe wie „Trauma“ und „schizophren“. Aber mal im Klartext (Achtung jetzt kommt die Akademikerin ohne Niveau in mir durch): Nein, du bist nicht depressiv, weil du mal nachdenkst, du Vogel!

Okay, ich hab mich beruhigt…Wir sind alle (hoffentlich) mal traurig, nachdenklich, erschöpft, finden unser Leben kacke, haben Angst vor der Zukunft, machen uns Vorwürfe, haben Zweifel usw. „Hoffentlich“ deshalb, weil es zum normalen bzw. gesunden Spektrum menschlicher Kognitionen und Emotionen gehört. Das sind per se keine Anzeichen einer Depression. Diese ist u.a. definiert durch ein Zeitkriterium, eine Anzahl an Symptomen aus der einen und der anderen Kategorie, den Ausschluss somatischer Ursachen usw. Hier verweise ich mal auf die wundervollen, wissenschaftlich fundierten psychiatrischen Klassifikationssysteme (ICD-10 und DSM-V) 😉 …naja oder für den Anfang eben Wiki. Ich habe auch noch nie erlebt, dass jemand versucht, Sodbrennen mit einer Pankreatitis oder Pankreaskrebs gleichzusetzen, ihr etwa?

Zu depressiv für Suizid
Während meiner ersten Tage auf einer geschützt geführten Station lernte ich Frau X und ihre schwere depressive Episode kennen. Sie hatte sich seit Monaten zurückgezogen und im Wesentlichen in ihrer Wohnung auf das hoffentlich baldige Ende ihres Lebens gewartet, jeglichen Antrieb verloren – selbst Haarkämmen und Körperhygiene insgesamt erschienen ihr unerträglich schwer, weshalb sie es einstellte. So schlimm es für Außenstehende klingen mag, fehlten ihr nach eigener Aussage sogar die Kraft und der Antrieb, ihr Leben zu beenden, obwohl sie es gern getan hätte. Sie war zutiefst resigniert, Freude kannte sie seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr ebenso wie eine Perspektive oder irgendeine Form der Hoffnung. Sie sprach und bewegte sich kaum, fühlte subjektiv „nichts mehr“ und wollte eigentlich auch in der Klinik im Wesentlichen liegen und warten…

Eine Depression ist eine „ganz echte“ Erkrankung, die zu „ganz echtem“ Leid und Leidensdruck führt, kein Synonym für den gelegentlichen Blues, den wir alle mal haben, z.B. weil irgendwie jede Woche wieder Montag ist.

Wünsche für die Betroffenen
Was ich mir wünschen würde – für die Betroffenen: werdet Experten, teilt euer Wissen, seid stolz auf die noch so kleinsten Fortschritte und bleibt davon überzeugt, den „schwarzen Hund“ an die Leine legen zu können, auch wenn er vielleicht nie wieder ganz auszieht. Für Nicht-Betroffene: hört zu, stellt Fragen, versucht zu verstehen und am besten noch die Perspektive zu wechseln, nehmt ernst und checkt wenigstens ab und zu mal selbstkritisch, ob euer Zustand tatsächlich den Vergleich mit einer Depression „verdient“…seid froh, wenn ihr sie nicht habt.

Vielen Dank fürs Lesen und dir, liebe Tante Emma, fürs Mich-hier-etwas-schreiben-lassen. Es war mir eine große Freude und schon auch ein bisschen Herzensangelegenheit.

P.S.: Ich kann auch fachlicher 😉 Versprochen.

Kommentare (11)

  1. Wissen ist hier wirklich macht, verstehen hilft. Ein schön unfachlicher aber treffender Beitrag. Ich hoffe, ich schaffe es die Tage mal meinen zurechtzuschreiben, der irgendwie genau auf diesem aufbaut gedanklich.

    1. Vielen Dank für das Feedback! Feut mich sehr. Und, schon zurecht geschrieben?

  2. Liebe Maruschka, danke für diesen inspierierenden Beitrag! Ich würde da gerne ganz viel zum „Wissen teilen“ fragen. Wie genau teilst du denn dein Wissen? Du schreibst von psychoedukativen Gruppen, heißt das, du arbeitest in einer Klinik oder einem Versorgungszentrum? Was denkst du wäre ein guter Weg das Wissen auch an die breitere Masse zu bringen, also nicht nur an Menschen, die selbst betroffen sind und sich bereits Hilfe gesucht haben? Welche Möglichkeiten haben wir, die wir keine klinischen Psychologen/Ärzte/Therapeuten sind?

    1. Liebe Anna, vielen, vielen Dank für das positive Feedback! Darüber freu ich mich sehr.
      Genau, als Psychologin habe ich z.B. in Kliniken psychoedukative Gruppen geleitet. Aber auch in der ambulanten Psychotherapie gehört die Wissensvermittlung bzw. -austausch für mich immer dazu- sollte eigentlich immer so sein. So oft wie möglich und wann immer nötig, mache ich Störungswissen zum Thema z.B. über Workshops für Kollegen, Mitarbeiter anderer Institutionen oder auch einfach, wenn ich merke, dass Aussagen mehr von Meinung als von Ahnung inspiriert sind ;). Aktuell bin ich bei einem Bildungsträger beschäftigt und „bastele“ mit interessierten (betroffenen und nicht betroffenen) Teilnehmern eine Info-Broschüre zusammen.

      Deine Fragen finde ich super. Vermutlich wird man nie all diejenigen erreichen können, die es am Nötigsten hätten. Aber einen Versuch ist es sicher wert. Ob man dabei über Blogs, Videos, Plakate, Flyer, Vorträge z.B. an Schulen, Unis, beim Arbeitgeber, in Vereinen, Gemeinden etc.oder eben auch in vielen „kleinen“ Gesprächen seine Möglichkeit findet, ist vermutlich eine Frage der individuellen Vorlieben. Sicher gäbe es auch über den Kontakt zu Selbsthilfe- und Angehörigengruppen, Trialogforen, VHS etc. Möglichkeiten sich und sein Wissen einzubringen.

      Was ich persönlich als sehr lohnend empfinde, sind die „kleinen“ Gespräche – sich einmischen, wenn abfällige oder einfach falsche Aussagen im Freundes- und Bekanntenkreis, beim Arzt, Bäcker, Kollegen auffallen. Oder wenn man es nicht ganz so militant 😉 angehen möchte, wird es erfahrungsgemäß oft sehr geschätzt und auch in Anspruch genommen, wenn man sich für Fragen oder Info zur Verfügung stellt. Und mit Blick auf die Lebenszeitprävalenz begegnen einem dabei doch sehr häufig, direkt oder indirekt Betroffene, die froh sind, einen Ansprechpartner gefunden zu haben.

      Ich hoffe, ich konnte deine Fragen so einigermaßen beantworten. Welchen Weg könntest du dir vorstellen oder nutzt du vielleicht schon?
      Wenn du magst, können wir uns gern weiter austauschen und ich freu mich, wenn du dich meldest. LG

      1. Das Angebot nehme ich doch mit dem allergrößten Vergnügen an! Vielen Dank für deine so umfassende und ausführliche Antwort! Das Thema schleicht sich immer wieder in meinen Blog, dabei gefällt mir besonders das Konzept von Vorträgen an Schulen auch sehr gut. Da hadere ich allerdings ein wenig mit mir, weil ich das Gefühl habe nicht genug darüber zu wissen und es Fachleuten vorbehalten ist. Viele Grüße!

  3. Vielen dank,ass du deine Erfahrungen teilst. Habe leider nicht alles verstanden.

    Finde es schwierig als Laie darüber zu urteilen, ob jemand wirklich grade eine Depression hat oder etwas anderes. Könnte mich nie einmischen und es jemanden an den Kopf werfen.
    Abgesehen davon habe ich noch nie jemanden gehört der offen mit jemand anderen in der Öffentlichkeit über seine Depression spricht. Was wenn man sich irrt? Grade wenn jmd eine Depression hat ist es doch grade wichtig ihn ernst zu nehmen oder etwa nicht?
    .
    Deshalb gefällt mir der Text von der zweifachen Mutter (scrileah). Sehr gut. Sie betont nochmal das jede Depression anders ist. Aber kann natürlich sehr gut sein, dass es für einen Therapeuten nicht so ist.

    Derzeit bin ich wegen einer ‚chronischen Traumafolgestörung‘ in Therapie. Als ich einen Schub /Rückschlag wie auch immer man es richtig nennt,hatte, war ich froh, dass ich zum ersten Mal mit jemanden vom Fach darüber reden konnte. Ich habe es einfach nicht verstanden warum ich auf einmal nichts mehr fühlte. Es lief doch grade alles perfekt. Bin sehr froh, dass ich ernstgenommen wurde. Keine Ahnung wie es sonst ausgegangen wäre.

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