„Ohje, das hätte uns auch passieren können..“ | Gastartikel

„Ohje, das hätte uns auch passieren können..“ oder
ein kleiner Text über Norm, Erwartungen und fiese Möppe

Die wunderbar humorvolle, sehr nette und tolle Dreifachmama von drei Kindern unter drei, @zweieiich hat sich mal ein bisschen sehr verständlichen Frust von der Seele geschrieben. Wie zu erwarten, recht amüsant und aufm Punkt. Hier nun ihr Text:

Mit der Kinderschar unterwegs
Wer Zwillinge bekommt, kann was erleben! Wer Zwillinge in kurzem Abstand zum ersten Kind bekommt, der kann noch mehr erleben. Als besonders erlebnisreich entpuppen sich Spaziergänge oder Ausflüge, bei denen man andere Menschen trifft. Und diese Menschen sich dann ungefragt äußern. In saudummer Manier. Denn wenn du 3 Kinder unter 3 Jahren hast, die du nonchalant mit Zwillingswagen und Buggyboard über Bordsteine manövrierst, bist du ein echter Hingucker, ob du willst oder nicht.

Kürzlich schlenderten wir mit der Kinderschar (K1 ist 2,5 Jahre alt, die Zwillinge 9 Monate) gemütlich über den Weihnachtsmarkt. Wir kreuzten den Weg eines frisch gebackenen Elternpaares mit Kinderwagen. Die Mutter knuffte ihrem Mann bei unserem Anblick beherzt in die Seite und zischte (unüberhörbar) erschrocken/mitleidig:

„Oh je, guck mal, das hätte uns auch passieren können.“

Liebe unbekannte Mutter, das hier geht an dich: Ja, hätte. Isses aber nich. Und ich hoffe, du hast dich im Nachhinein für deinen strunzdoofen Kommentar ein bisschen geschämt. Oder dein Mann hat dir dein blondiertes Köpfchen gewaschen. Oder du hattest selber eine harte Nacht mit deinem Baby voll hinterlassener Laufstraßen auf dem Veloursteppich. Weil Zahn. Oder Bauchweh. Oder man weiß grad auch nicht. Denn sonst fällt mir gerade nicht viel an Entschuldigung für dich ein.

Bullshitbingo
Im Ernst: Ich kann leider schon eine gaanz lange Liste schreiben für Zwillingsbullshitbingo Edition 1- 26. Und wenn ich mich mit anderen Mehrlingseltern unterhalte, hört man ganz Ähnliches:

„Ich würde mich erschießen.“  ist da eins der echten Highlights. Mehrlingsschwangerschaft als Strafe. Hm.

Es hinterlässt mich oft wütend, meist sprachlos, manchmal ratlos und auch traurig. Denn was sagt das über unsere Gesellschaft aus?

Kinder sind schön, keine Frage, aber dann bitte regelkonform. Nicht zuviel und nicht zu wenig. Und bitte zum richtigen Zeitpunkt.

Du hast „nur“ ein Kind? Na, wann kommt denn das Zweite? Ach, ein Kind ist kein Kind (ja ihr ahnt es, das hier ist aus einem Gespräch mit Tante Emma erwachsen, s. Blogartikel). Wie, du willst kein zweites Kind? Na warte mal ab. Das kommt schon noch. Einzelkinder sind doch total egoistisch und lernen nie zu teilen oder mal zurückzustecken. So ein kleines Brüderchen/Schwesterchen, das wäre doch was.

Du hast zwei Kinder? Prima. Dann bist du ja durch. Du hast zwei Mädchen? (schadenfrohe Blicke zum Vater) Oh, du hast zwei Jungen? (schadenfrohe Blicke zur Mutter). Naja, hauptsache gesund.

Du hast drei Kinder? Achje, so viele Kinder. Das ist bestimmt anstrengend. Ihr seid aber jetzt durch, ne? (Tonfall schneidender). Ihr habt nur Mädchen? (mitleidige Blicke zum Vater) Nur Jungs? (mitleidige Blicke zur Mutter). Naja, hauptsache gesund. Sucht man sich ja nicht aus.

Du hast vier oder mehr Kinder? Hast du keine Hobbys? Aber gibt ja ordentlich Kindergeld. Da brauchst du ja gar nicht mehr arbeiten gehen. Sind die alle vom gleichen Mann?

Die traurige Wahrheit ist, dass alle diese Sprüche nicht meiner Phantasie entstanden sind. Sie sind eine Auflistung der Worte, die Menschen mit entsprechenden Konstellationen, zu hören bekommen. Tagtäglich und immer wieder, in der eigenen Familie, im Bekanntenkreis oder auch von wildfremden Menschen auf der Straße.

Die Normen unserer Gesellschaft
Die Gesellschaft liebt die Norm. Und solche, die diese Norm sprengen, werden schief angeschaut oder dämlich angequatscht. Es scheint beinahe, dass Familiengründung für manche eben keine Privatsache ist. Da wird nachgebohrt, eingemischt und kommentiert und so mancher Elternteil muss sich rechtfertigen. Mit welchem Recht? Und was ist denn die Norm? Vater, Mutter und zwei Kinder, am allerbesten Junge und Mädchen, „damit man beides hat“? (by the way… wer sich mal Immobilienanzeigen  in Großstädten anschaut, kriegt ziemlich schnell eine Idee davon, wie die Norm aussehen könnte).

Ich lasse an dieser Stelle die Menschen, die gar keine Kinder bekommen (ob gewollt oder ungewollt) ganz bewusst außen vor. Die haben einen eigenen Artikel verdient.

Hört auf zu werten
Und falls hier jetzt ein falscher Eindruck entsteht: Ich bin überglücklich mit meiner Familienkonstellation. Ich würde es überhaupt nicht anders haben wollen. Wir können uns sogar noch sehr sehr gut ein viertes Kind vorstellen. Echt. Einfach so. Weil es so schön ist. Ich bin ein offener, kommunikativer Mensch und ich freue mich auch über freundliche Kommentare meiner Mitmenschen. Nur die Sache mit der Wertung, die hab ich nicht so gern. Ich möchte fast wetten, dass es den meisten von euch genauso geht.

Alles Wunder
Die fiesen Möppe mag ich so gerne an den Schultern packen und kräftig schütteln und rufen:

„Alles ein Segen!! Verstehste? Alles ein Geschenk! Alles Wunder!
Egal wann, wie viele und mit welchem Geschlecht!“ In your face!!“

Kommentar (1)

  1. Hallo,

    hm, da muss ich mich mal an meine eigene Nase fassen …. ich hatte wahnsinnige Angst, mit Mehrlingen zu bekommen.
    Allerdings weniger in Hinblick auf die Gesellschaft, als vielmehr in Hinblick darauf, dass ich über meine unglaublich begrenzten Ressourcen weiß und mir daher überhaupt nicht vorstellen konnte (und kann) Zwillingen gerecht zu werden. Ich weiß, wenn man muss, geht alles, und vermutlich hätte ich mich bzw. wir uns im entsprechenden Fall nach dem ersten Schreck einfach gefreut und das irgendwie gewuppt.

    Herzliche Grüße
    lafrancophile

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