Gastbeitrag von der Mupfmama
Vor ein paar Tagen hat Lisa von „geborgen & geliebt“ verkündet, dass sie eine mehrwöchige Koffeinpause einlegen möchte. Auf Twitter kamen wir dazu ins Gespräch, und nachdem noch einige andere Interesse am Thema hatten, versprach ich, meine Erfahrung mit Koffeinverzicht aufzuschreiben. So here we go…
Arbeiten bis zum Umfallen – im wahrsten Sinne des Wortes
Um meiner Koffein-Entzugsgeschichte auf die Spur zu kommen, müssen wir ein bisschen ausholen. Ich habe im Jahr 2012 mein Leben ziemlich auf den Kopf gestellt: Ich habe eine langjährige Beziehung beendet und eine neue begonnen (hallo Mupfpapa!), ich habe einen neuen Job angefangen und bin dafür alleine (mit Dackel) in eine andere Stadt gezogen. Ich wollte Karriere machen und habe mich voll reingehängt, alles und immer noch ein bisschen mehr gegeben. Anfang des Jahres 2013 hatte ich einen zwar großartigen, aber auch sehr, sehr anstrengenden Auslandsaufenthalt hinter mich gebracht, 3 Monate Brasilien, hatte dafür „noch schnell“ Portugiesisch gelernt. Wieder zurück führte ich weiterhin eine Fernbeziehung und pendelte zwischen Frankfurt und Bonn, fuhr die knapp 180km oft mehrmals in der Woche, abends hin, morgens zurück. Ich arbeitete über Monate 60 Stunden in der Woche, die Wochenenden noch gar nicht mitgerechnet. Urlaub nahm ich keinen, mal zwei Tage, mehr ging nicht, Leistung Leistung Leistung. Höher. Schneller. Weiter.
Ende 2013 kam der Zusammenbruch: Burnout. Erschöpfungsdepression. Angststörung. Juhu. Nicht. Das Ganze mündete in einem achtmonatigen Ausfall – die Lage war ernst. Sehr ernst. Darum soll es hier zwar gar nicht gehen (das schreibe ich vielleicht zu gegebener Zeit mal auf), aber es bildet nun mal den Rahmen für die Koffeingeschichte…
Wer nicht mehr runterfährt, wird bekloppt
Man lernt ja irre viel, wenn man plötzlich in einer neuen Situation steckt und keine Wahl hat. Was ich lernte: Unser Gehirn lebt noch in der Steinzeit. Es weiß noch nichts von Büros und sitzenden Tätigkeiten. Bei Stress schaltet es um in den Modus „Laufen oder Raufen“, alle Ressourcen werden für körperliche Leistung bereitgestellt, damit wir eben wegrennen oder uns im Kampf verteidigen können. Indem wir das tun, bauen wir die Stresshormone auch gleich wieder ab und das Erregungsniveau sinkt wieder auf null. Das ist normal, gesund und das erleben wir alle in verschiedener Ausprägung andauernd. Wichtig für unsere psychische Gesundheit ist, dass die Kurve immer wieder absinkt.
Wenn wir jetzt aber im Büro sitzen und uns gar nicht bewegen (können) und wenn der Stress nicht von Säbelzahntigern, sondern von pöbelnden Kunden und Kollegen und beknackten Chefs ausgelöst wird, dann haben wir auf Dauer ein Problem: Das Erregungsniveau sinkt nicht mehr vollständig ab, der nächste Stressmoment kommt ganz bestimmt und mit der Zeit schaukelt sich das Ganze hoch. Wir kommen nicht mehr zur Ruhe, überdrehen, sind dauernd unter Strom – und irgendwann einfach nur noch erschöpft.
So, und hier kommt der Kaffee ins Spiel. (Wird auch Zeit, ne?) So toll (und lecker!) das Zeug ist, so wenig hilfreich ist es, wenn man sowieso schon in dem skizzierten Stress- und Erregungs-Teufelskreis festhängt. Ich war ein Kaffee-Junkie erster Güte und habe mich über Monate damit immer weiter gepusht. Bevor ich morgens das Haus verließ, hatte ich in der Regel schon drei Tassen intus. Im Büro ging es dann weiter… Nachdem ich irgendwann mal festgestellt hatte, dass ich monatlich rund 100 (hundert!!!) Euro am Kaffeeautomaten in der Kantine verballerte, hatte ich die Konsequenzen gezogen – nein, ich trank nicht etwa weniger Kaffee, neheeein, ich hatte mir eine zweite Kaffeepadmaschine fürs Büro gekauft, die auf meinem Schreibtisch stand und mich quasi rund um die Uhr mit Treibstoff versorgte. So kam ich an normalen Tagen auf 15 Tassen starken Kaffee. Oder mehr. Klingt gesund, ne? Ja, ist es auch.
Cold Turkey
Auch nach meinem Zusammenbruch und in der ersten Zeit meiner Krankschreibung schüttete ich weiter literweise Kaffee in mich rein. Gewohnheit. Meine neue Achtsamkeitspraxis ließ mich dann nach und nach alle möglichen Aspekte meines Lebens betrachten und hinterfragen, irgendwann kam der Kaffeekonsum an die Reihe und praktischerweise begann gerade die Fastenzeit 2014. Ich bin zwar keine Christin, fand aber die Fastenidee reizvoll und hängte mich einfach dran. Von einem Tag auf den anderen reduzierte ich also von 15 (und mehr) Tassen Kaffee am Tag auf null. Zero. Klingt erstmal simpel, ist unfassbar schwer. Sehr viel schwerer als ich jemals gedacht hätte.
Ich hatte wirklich zu kämpfen: Mühühüdigkeit, Erschöpfung in bis dato ungekanntem Ausmaß (schlimmer, als jetzt mit kleinem Baby!), über Tage hatte ich ernsthaft Mühe, die Augen offen zu halten und ordentlich zu sprechen. Mein Hirn war voller Klebstoff. Oder Zuckerwatte. Lorelai Gilmore sagt in einer Folge, „without coffee, I stop the words into sentence putting.“ Genau so ging es mir. Das dauerte etwa zwei Wochen. Dazu kamen wahnsinnige Kopfschmerzen, die nicht auf Schmerzmittel ansprachen, und die mir die ersten vier, fünf, sechs Tage „versüßten“. Ich fühlte mich gedämpft, meine Sinneswahrnehmungen waren irgendwie reduziert, ich war langsam und mir tat der Schädel weh. Ich lebte mit zu enger Mütze unter einer Käseglocke. Toll. Meine Laune sank.
Aber dann…!
Nach etwa zwei Wochen ließen die „Entzugserscheinungen“ nach und ich fühlte mich… fantastisch! Müdigkeit, Kopfschmerzen, Gewitterlaune – alles passé. Nebenbei hatten sich meine Magenschmerzen verflüchtigt (schau an!) und ich erlebte nachts eine Tiefschlafqualität, die ich seit Jahren nicht gekannt hatte. Im Verlaufe der siebenwöchigen Fastenzeit wurden diese Effekte immer deutlicher, mir war zum Bäume ausreißen zu Mute, zum ersten Mal seit Jahren fühlte ich mich ausgeschlafen und erholt.
Und heute?
Das Ganze ist jetzt circa zweieinhalb Jahre her und ja, ich trinke wieder Kaffee. Ich schreibe diesen Text kaffeetrinkend. Aber ich trinke sehr, sehr wenig – immer mal einen Cappuccino mit Haselnussmilch, ein Genuss. Ich beschränkte mich lange* auf maximal drei Tassen pro Woche! Pro WOCHE! Und ich vermied es konsequent, Kaffee als Wachmacher einzusetzen, trank ihn nur und ausschließlich zum Genuss. Wenn ich müde war, war ich halt müde, dann ab an die frische Luft oder fünf Kniebeugen machen. Das hilft nämlich auch.
Und das ist vermutlich das Geheimnis: Betrachtet Kaffee als Genussmittel, nicht als Grundnahrungsmittel. Trinkt ihn nicht im Stehen, Gehen, im Auto oder sonst wo nebenbei, ohne ihn eigentlich zu bemerken, trinkt ihn nicht, weil es sieben Uhr ist, ohne ihn richtig zu schmecken. Trinkt keinen billigen Tankstellenkaffee, der schon seit Stunden warm gehalten wird und genauso auch schmeckt. Trinkt guten, frisch gebrühten, heißen Kaffee, und trinkt ihn bewusst, genussvoll, in Ruhe, im Sitzen. Dann tut er euch gut. Zumindest bei mir ist das so.
*Jetzt, in der ersten Babyzeit, ist es ein bisschen eingerissen, das muss ich leider zugeben – momentan trinke ich täglich Kaffee. Aber eben nicht 15 große Tassen, sondern zwei kleine. Ich denke, das ist OK. Aber ich spüre, dass ich das im Auge behalten muss. Sonst verselbständigt sich die Koffeingier wieder.
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Herzlichen Dank an die Mupfmama für diesen Gastbeitrag. Ich habe viel gelernt, mich an meine letzten Fastenzeiten und die Schwangerschaft zurückerinnert und mir gerade keinen Kaffee gemacht, sondern ein weiteres Wasser eingeschenkt.
Guten Morgen,
Kaffee ist meine letzte große Sucht und inzwischen auch mehr Genussmittel, als Aufputscher. Ich fand mich in einigen deiner Beschreibungen sehr treffend wieder.
Liebe Grüße,
Nina
Guten Morgen liebe Nina,
herzlich willkommen hier.
Mir geht es genauso. Aber ohne kann ich nicht. So lange ich so wenig Schlaf bekomme…
Liebe Grüsse
Tante Emma
Ich trinke morgens meistens eine Tasse, manchmal zwei. Es ist mein Ritual (und mein Körper merkt nicht, wenn ich mal koffeinfreien reinmische).
Am Nachmittag trinke ich meist noch eine Tasse… Mit viel Genuss und meist mit Ruhe.
Kann natürlich auch eskalieren 😀
Haha, ich stelle mir gerade vor, wie ich versuche, meinem Körper heimlich koffeinfreien Kaffee unterzujubeln.
Kaffee mit Ruhe trinken ist viel mehr als nur Kaffee trinken. Es ist nur leider sehr selten.
Ich habe das irgendwann nach einem Krankenhausaufenthalt mal angefangen… Mach ich seitdem gelegentlich 😀
Du bist crazy. 😉
Danke für diesen tollen Bericht – ich erkenne mich an einigen Stellen wieder – auch wenn die Kaffee’sucht‘ bei mir nicht so extrem war.
Das mit den Kniebeugen werde ich mir auch mal merken 😅
Liebe Grüße an euch zwei!
Lisa